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Archiv-Artikel

Lidl kümmert sich zu gut um Kranke

Missglückte Befruchtung, Psychoprobleme, Krankheiten – der Lebensmitteldiscounter notiert heimlich persönliche Details seiner Mitarbeiter. Gewerkschafterin warnt davor, zu viel zu sagen. Auch Schlecker und Daimler gehen lax mit Daten um

VON HANNA GERSMANN

Der Lebensmitteldiscounter Lidl hat geheime Krankenakten über seine Mitarbeiter angelegt. Noch bis vor wenigen Monaten hat er in firmeninternen Formularen handschriftlich notiert, wer unter Bluthochdruck leidet, beim Psychologen war oder schwanger werden wollte. Dies legen Unterlagen – rund 300 Seiten – nahe, die durch einen Zufall in einer Mülltonne in Bochum entdeckt wurden und über die der Spiegel jetzt berichtete.

Lidl hat bereits zugegeben, derartige Listen genutzt zu haben. „Dies war nicht datenschutzkonform, diente aber dazu, die Mitarbeiter ihrem gesundheitlichen Zustand entsprechend einzusetzen“, erklärte das Neckarsulmer Unternehmen am Wochenende. Zum Jahresende 2008 sei das Verfahren auch eingestellt worden. Ein Mitarbeiter habe die Formulare „unsachgemäß entsorgt“. „Konsequent“ arbeite Lidl seit April letzten Jahres an einem „ganzheitlichen Datenschutzkonzept“.

Einen Monat zuvor, im März 2008, hatte bereits der Stern enthüllt, dass Lidl in seinen Filialen systematisch Detektive eingesetzt hatte, die die eigenen Mitarbeiter ausspähten. Der Discounter, der rund 50.000 Mitarbeiter hat, gelobte damals Besserung – und kommt nun wieder in Bedrängnis. In dem Bochumer Müll sollen nämlich nur Unterlagen mit frischen Notizen aufgetaucht sein, also mit Einträgen von 2008 bis Anfang 2009.

Offenbar notierte das Unternehmen intern sehr private Details seiner Mitarbeiter, als es offiziell die zweifelhaften Methoden schon verbannte. So zitiert der Spiegel einen Hinweis über eine Mitarbeiterin, die im Juni vergangenen Jahres krankgeschrieben war: „Will schwanger (werden). Befruchtung nicht funktioniert“. Bei einer anderen heißt es als Krankheitsgrund: „Psychologe“ und unter „Maßnahmen“: „Mehrmals telef. versucht. Freund mitgeteilt, sie solle sich dringend melden. Kündigung! zum 31. 07. 08“.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat eine Prüfung des Falls durch die zuständigen Aufsichtsbehörden angeregt. Noch ist unklar, wie Lidl an die Daten gekommen ist – über Vorgesetzte, Kollegen. Agnes Schreieder ist Expertin für den Handel bei der Gewerkschaft Ver.di. Die Mitautorin des „Schwarz-Buchs Lidl“ sagte der taz: „Die Diagnose geht den Arbeitgeber erst mal nichts an.“ Er dürfe persönliche Details auch nur mit der Einwilligung des Betroffenen schriftlich festhalten. Schreieder warnt: „Diejenigen, die zugeben, Probleme zu haben, werden zuerst rausgekickt.“ Denn Krankentage verursachen Kosten für den Arbeitgeber.

Dabei ist die Informationspflicht klar geregelt. „Arbeitnehmer müssen sofort Bescheid geben, wenn sie nicht kommen können, und sagen, wann sie voraussichtlich wieder da sein werden“, so die Gewerkschafterin. Viele Betriebe ließen ihren Mitarbeitern bis zu drei Tage Zeit, um zum Arzt zu gehen. Eigentlich müsse man aber schon für den ersten Krankentag eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abgeben. Eine Diagnose steht da nicht drauf.

Grundsätzlich muss sich Lidl um die Gesundheit seiner Mitarbeiter kümmern. Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht, um körperliche Überanstrengung oder permanenten psychischen Druck im Job zu vermeiden. „Doch das passiert bei Lidl gerade nicht“, meint Schreieder, „der Kontrollwahn macht Mitarbeiter im Gegenteil mürbe.“ Er ist aber offenbar kein Einzelfall. Schreieder meint: „Bei Schlecker kommt es genauso vor, dass leitende Angestellte Vermerke anfertigen über ihre kranke Kollegen.“ Und erst im Januar rügten die Datenschützer in Baden-Württemberg den Autokonzern Daimler, weil er mit Krankendaten seiner Mitarbeiter im Werk Untertürkheim zu lax umgegangen sei. Daimler-Betriebsräte raten nun „aus gegebenem Anlass“, vorsichtig zu sein, etwa in Mitarbeitergesprächen nach längerer Krankheit.

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