: Zu viel Süße macht zu satt
Frauen, so sagt die Wissenschaft, vertrügen weniger Wein als Männer. Müssen sie ihn deswegen alleine trinken? Ein Seminarbericht
VON JUDITH LUIG
Im E. T. A Hoffmann herrscht Festtagsstimmung, Kerzen flackern, Sektgläser klirren. Die Tische des Restaurants in Berlin-Kreuzberg sind zu den unterschiedlichsten Gruppierungen zusammengestellt: lange Tafeln, ein paar intime Nischen für zwei, einige Sechser. Dazwischen Geschäftsfrauen, Lehrerinnen, Ärztinnen und Sekretärinnen. An einigen leuchtet Gold vom Ku’damm, andere wärmt handgefärbte Schafswolle aus den Anden, ein paar jüngere tragen edles Top zu Jeans.
Inszeniert wird der Abend von Alexandra Dauch. Die junge Französin hat jede Frau begrüßt, erste Tipps verteilt – „Ihr Aperitif sollte nie zu süß sein, das zügelt den Appetit“ –, Plätze zugewiesen, alte Bekannte begrüßt und eifrig vorgestellt. Zum dritten Mal veranstaltet sie heute ihr Erlebnis-Genuss-Seminar explizit nur für weibliches Publikum, und um alle diese Begriffe zusammenzuführen, bedarf es Organisation und Improvisation – für den Wein gilt: Hell vor Dunkel, Jung vor Alt, Trocken vor Süß, für den Stoff gilt: Theorie vor Praxis, erst etwas Wissenswertes über Wein und Essen hören, dann selbst ausprobieren. Noch ist Dauch ein bisschen nervös, aber das steht ihr ganz gut.
Das Thema des Abends ist „Herbst“. Die Expertin schreitet durch den Raum und schwärmt mit ausschweifenden Gesten und gewinnendem Akzent: „Die Luft wird kühler und klarer, wir entwickeln ein Bedürfnis nach Wärme.“ Wein und Speisekarte bieten also „kräftigere und pikante Geschmacksrichtungen“: gebackene Schweinebäckchen im Feldsalat, eine deutliche Röstnote beim Zander mit Meerrettichkruste, später Sauerbraten, dazu Weine mit „rassiger Eleganz“ oder „einem Arom von reifen Früchten“, rauchige und reife Tropfen.
Sind das Dinge, für die sich nur Frauen begeistern können? „Ich weiß, ein Seminar nur für Frauen, das ist diskriminierend“, erklärt die Gastgeberin, „aber es muss sein.“ Frauen würden beim Thema Wein viel zu leicht übergangen. „Egal wo man hingeht, immer bekommt der Mann die Weinkarte, ihm wird das Etikett präsentiert, er darf probieren. Da habe ich mir irgendwann gedacht – ich spreche jetzt mal ohne Soße –, jetzt reicht’s.“ Seit über einem Jahr gibt Dauch jeden ersten und zweiten Mittwoch des Monats bei der Weinhandlung Paasburg’s Weinseminare für Weinfreundinnen. Und zu Beginn jeder Jahreszeit gibt sie das Seminar, das die Kombination edler Speisen und edler Weine lehrt – für 65 Euro.
Das „Nur für Frauen“-Logo hat in der Branche gerade Konjunktur. Überhaupt überschlagen sich geschlechter- und gruppenspezifische Angebote: Weinseminare für Business-Frauen, Käse-und-Wein-Kurse, Chianti-Specials. Und so ist es auch Dauchs Mission, vor allem eine gute Geschäftsidee und weder als feministische Veranstaltung noch als Benimmveranstaltung für die Gattin zu verstehen. Keine der Teilnehmerinnen wirkt so, als würde sie sich nicht auch in Gegenwart eines Mannes trauen zu fragen, was denn nun eigentlich „ein starker Abgang“ sein soll. Und weder Männer noch Frauen noch der Unterschied zwischen ihnen werden groß an den Tischen thematisiert.
Und auch Dauch selbst spielt die Weiblichkeitskarte selten. Sie setzt viel mehr auf Sinnlichkeit. Zwischen den Gängen erklärt sie ihre Leidenschaft für die auserwählten Weine. Bei jedem Gericht können sich die Frauen durch zwei Sorten durchschmecken. Zum Feldsalat in Kartoffel-Linsen-Dressing zum Beispiel („Vorsicht: Dressing ist kein Freund von Wein“) gibt es Sancerre aus Sauvignon-Blanc-Reben – ein Edelklassiker mit „einem Aroma von Zitrusfrüchten“ – und Chardonnay aus der Bourgogne – „Honig, Mandel, Vanille“.
Wer zum ersten Mal dabei ist und sich mit „mineralisch“ und „schöne Lage“ etwas schwer tut, der wird dennoch mit einer geschmacklichen Entdeckung belohnt. Wenn auch nicht unbedingt immer positiv. Der goldige Sancerre, zunächst wie versprochen fein und ein bisschen johannisbeerig, erscheint beim zweiten Schluck nach der ersten Gabel wie ein anderer Wein. Leider wie einer, der mir jetzt überhaupt nicht mehr schmeckt.
Beim Fisch gibt es kurz einen kleinen Skandal: Ein Rotwein wird ausgeschenkt? Doch der Spätburgunder mit seinem süßlich-rauchigen Duft erweist sich als Treffer, und Dauch, die selbst aufgeregt das Zusammenspiel von Wein und Essen miterlebt, ist glücklich. Jetzt hat sie auch ein bisschen Zeit, zu plaudern. „Ich bin kein Sexist“, erklärt sie resolut. „Überhaupt nicht.“ Dann denkt sie noch mal kurz über diese Aussage nach, lacht und sagt: „Na ja, vielleicht ein bisschen.“ Und jetzt schiebt sie doch ein Paar Sätze zum Seminarthema ein: Frauen seien einfach näher dran am Wein. Viel stärker vertrauten sie auf den eigenen Geschmack, viel seltener würde auf Prestige, Preis und Etiketten geschielt. „Männer halten sich oft an Begriffen fest und nicht am Erlebnis.“
Nachdem das letzte Stück Tarte Tartin mit Pommeau abgeschmeckt ist, kommt Thomas Kurt aus seiner Küche und bespricht noch ein paar Zubereitungskniffe für das Sauerrahm-Eis. Die Gäste tauschen inzwischen Erfahrungen mit ihren Fortschritten beim Weinerschmecken aus. Dauch lauscht glücklich, freut sich über kleine Besserwissereien ihrer Schülerinnen: „Also die Assistentin vom Chef hat gesagt, sie würde lieber Pinot Grigio trinken als Grauburgunder. Die hat doch gar keine Ahnung.“ Manchmal kommen die Errungenschaften im Freundeskreis gut an – „ich habe letztens sogar diesen Weinexperten aus dem Tennisclub beeindruckt“, manchmal weniger gut – „ich habe meiner Freundin gesagt, ‚der Wein hat Kork‘, und sie hat geantwortet, ‚also ich find den lecker‘.“
JUDITH LUIG, 29, ist Redakteurin im taz.mag und trinkt Wein auch mit Männern