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Archiv-Artikel

Der Schrecken beim Namen I.G. Farben

Der ehemalige I.G.-Farben-Konzern steht für die Symbiose zwischen Industrie und NS-Regime

BERLIN taz ■ Kann man vom Nationalsozialismus reden, aber über den Kapitalismus schweigen? Wohl kaum. Und wenn von der Symbiose des NS-Regimes mit der deutschen Industrie die Rede ist, so steht der ehemalige I.G.-Farben-Konzern im öffentlichen Bewusstsein in der Vorhut der Profiteure. I.G.-Farben, das heißt die Buna-Fabrik Auschwitz-Monowitz, heißt massenhafte Vernichtung durch Arbeit. Die Nachfolgekonzerne haben sich dem, was man beschönigend „Aufarbeitung der Vergangenheit“ nennt, nie gründlich gestellt. Viel war von den Erfindungen des Chemiekonzerns zu hören, wenig von seinen Verbrechen. Erst recht traf das auf die I.G.-Farben-Liquidationsgesellschaft zu, die sich ihrer eigentlichen Bestimmung, Auflösung nach der Befriedigung von Ansprüchen gegen den ehemaligen Konzern, lange und erfolgreich wiedersetzt hat.

Die einzige Existenzberechtigung dieser Liquidationsgesellschaft hätte darin bestanden, mit dem Restvermögen Zwangsarbeiter zu entschädigen, für ein würdiges Gedenken der Opfer von Monowitz zu sorgen und alle Archivalien in ihrem Besitz zugänglich zu machen. Zeit ihrer Existenz hat die Liquidationsgesellschaft sich diesen Aufgaben entzogen.

Der vergebliche Kampf der kritischen Aktionäre gegen die Mehrheitseigner der Liquidations AG, der sich auf den Hauptversammlungen über die Jahre hinzog, wirft für die Öffentlichkeit eine wichtige Frage auf: Hätten sich die großen Konzerne, die schließlich die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung der Zwangsarbeiter begründeten, zu einem solchen Schritt ohne den Druck aus den USA bereit erklärt? Im Grunde haben sie sich jahrzehntelang nicht anders verhalten als die Liquidationsverhinderer der Liquidationsgesellschaft I.G. Farben. Insofern war das jährliche Schauspiel der Hauptversammlung mehr als ein absonderliches Detail. Es warf Licht auf den gesamten Komplex der Verantwortlichkeit deutscher Unternehmen. Deswegen ist der Schrecken, der einen bei bloßer Nennung des Namens I.G.-Farben überkommt, kein „antifaschistischer Reflex“, dem heute jede Grundlage abgeht. Trotz einer Reihe guter Monografien in den letzten Jahren harrt das Thema „Deutsche Unternehmer und das NS-Regime“ noch der Durchleuchtung. Die Liquidatoren haben sich davongemacht. Und für die Nachfolgekonzerne gilt das alte Sprichwort: Im Haus des Henkers spricht man nicht vom Strick. CHRISTIAN SEMLER