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Archiv-Artikel

„Diesen Hass ließ ich zurück“

George Grosz in Amerika: Er war ein Geretteter und Entwurzelter zugleich. Eine umfangreiche Ausstellung der Galerie Nolan Judin widmet sich seinen „Years in America“ und erzeugt Zweifel an dem Urteil über seine Entpolitisierung im Exil

VON KITO NEDO

Sein Dasein als Amerikaner, so schrieb der deutsche Zeichner und Maler George Grosz einst in seiner Autobiografie, habe er nur einer Laune des Schicksals zu verdanken. Als Gastdozent war Grosz im Juni 1932 auf Einladung der privaten Kunstschule „Art Students’ League“ ursprünglich für ein Sommersemester nach New York gekommen. Angesichts der sich rapide verschlechternden politischen Lage in Deutschland fiel es ihm jedoch nicht schwer, eine angebotene Vertragsverlängerung zu akzeptieren und sich fürs Bleiben zu entscheiden. Der Abschied des Künstlers von Deutschland, der schon 1916 seinen Namen von Georg Groß in George Grosz „anglisiert“ hatte, war kurz und schmerzlos: Im Herbst 1932 fuhr Grosz noch einmal nach Berlin zurück – um die Übersiedlung seiner Familie zu organisieren und sich um die Auflösung der Wohnung zu kümmern.

Als Grosz, seine Frau und die beiden Söhne Ende Januar 1933 mit dem Dampfer der Norddeutschen Lloyd schließlich New York erreichten, war Grosz nur knapp den Häschern von Gestapo und SA entwischt, auf deren schwarzen Listen der wegen seiner Treffsicherheit in rechtsradikalen Kreisen gleichermaßen gefürchtete wie gehasste Künstler schon lange gestanden hatte. „Dass ich dort lebend davongekommen wäre, darf ich wohl bezweifeln“, lautet der Kommentar des glücklich Entronnenen. Briefe aus Deutschland berichteten ihm von seinen mordgierigen Verfolgern, die kurz nach seiner Übersiedlung vergeblich die ehemalige Wohnung und das Atelier stürmten. Bis 1959 sollte Grosz’ Exil in Amerika schließlich dauern: sechsundzwanzig Jahre – fast ein halbes Künstlerleben.

Sich neu erfinden

Dass Grosz mit der Übersiedlung nach Amerika nicht nur eine räumliche Distanz überwunden hatte, sondern auch gewillt war, sich als Künstler neu zu erfinden, ist ein Bild, das der Künstler stets bekräftigte: „Diesen Hass, den ich in mir hatte, den ließ ich einfach zurück. In anderen Worten: es war vielleicht auch etwas zu Ende in mir.“

Die Kunstgeschichte, Kritik und der Markt nahmen derlei Statements dankbar auf zur Zementierung des eigenen Wertesystems – denn dort trennt man bis heute gern zwischen zwei Künstlern. Auf der einen Seite rühmt man den beißenden Satiriker und Dada-Aktivisten der Weimarer Zeit, der seinen ätzenden Humor mit heiligem Zorn gegen Bürgertum, Adel, Staat, Kirche, Wirtschaft und Militär schleuderte. Auf der anderen Seite rümpft man die Nase über den Exilanten, dessen Kunst, je länger er in Amerika lebte, angeblich an intellektueller Schärfe und künstlerischer Brillanz verlor, und der immer tiefer in die Isolation und den Alkoholmissbrauch driftete.

Doch ob solche Unterscheidungen der Geschichte tatsächlich gerecht werden – diese Frage wirft eine mit rund hundert Dokumenten, Gemälden, Zeichnungen und Collagen aus Grosz’ amerikanischer Zeit außergewöhnlich umfangreiche Ausstellung auf, die derzeit in den Räumen der Berliner Galerie Nolan Judin zu besichtigen ist.

Naturstudie im Separee

Denn die mit „The Years in America“ betitelte Verkaufsschau mit Werken aus dem Nachlass des Künstlers – der nur wenige Wochen nach seiner Rückkehr in seine Geburtsstadt Berlin 1959 auf tragische Weise nach einer nächtlichen Sauftour in einem Hausflur am Savignyplatz verunglückte und starb – lässt im Grunde mehrere Deutungen von Grosz’ Post-Weimarer Phase zu.

Diejenigen, die in Grosz den erschöpften Polit-Berserker sehen wollen, der sich statt Kapitalismuskritik in der Neuen Welt nun auf süßlich-erotische Strandszenen von Cape Cod verlegte, wo er die Sommer mit Naturstudien zu verbringen pflegte, dürfen sich angesichts der in einem Separee präsentierten Strandmalereien durchaus bestätigt fühlen. Beim Anblick der hier ausgestellten properen Frauenakte in sanft geschwungenen Dünenlandschaften mag man tatsächlich an alles Mögliche denken, nur nicht an den Zeichner, von dem Tucholsky einmal behauptet hatte, er zeichne „die Aura des Menschen mit, genau das, was die wenigsten Schauspieler zu spielen verstehen“.

Dennoch bietet die Berliner Ausstellung auch noch weitere Facetten des Grosz’schen Spätwerks. Denn trotz der altmeisterlich angehauchten Strand-Eskapismen hat der Künstler nie damit aufgehört, gesellschaftliche und politischen Realitäten in seine Kunst einfließen zu lassen. Grosz in Amerika – das war wie viele andere deutsche Künstler und Intellektuelle, die ein ähnliches Schicksal teilten, ein Geretteter und Entwurzelter zugleich.

Lebende Tote

So tauchen auch in den Jahren nach der Übersiedlung in den Zeichnungen und Bildern des Malers schiffbrüchige Gestalten auf, die sich ausgemergelt und erschöpft an fremden Küsten sammeln: Grosz zeichnet sie wie lebende Tote, mehr Knochen als Fleisch. Kaum sind sie an Land, beginnen sie, das Messer zu wetzen – ein Hinweis auf die oft schwierigen Existenzbedingungen und vielleicht auch der Mangel an Solidarität innerhalb der Exilszene.

Trotz aller anderslautenden Beteuerungen ließen ihn auch die Vorgänge in Deutschland nicht los. Die Nachricht vom Tod des Dichters Erich Mühsam, der 1934 im Konzentrationslager Oranienburg ermordet wurde, verarbeitet er in mehreren Zeichnungen, die die Ohnmacht der Intelligenz gegenüber dem dumpfen Terror der Nazis veranschaulichen. Auch in der 1936 bei Black Sun Press in New York in einer Auflage von 280 Stück veröffentlichten Grafikmappe „Interregnum“ – heute ein begehrtes Sammlerstück, damals eher bescheiden erfolgreich – holte Grosz noch einmal ge- gen die deutschen Verhältnisse aus.

Doch das zentrale Sinnbild, das er für das eigene künstlerische Schaffen findet, ist der „Muckraker“, der Arbeiter, der das Wasser vom Schlamm zu reinigen sucht. Als moderner Sisyphos hat der Künstler nicht die Mittel, um das politische Unheil aufzuhalten oder gar eine Veränderung herbeizuführen. Was bleibt, ist das Finden von Bildern für die große Katastrophe, wie das ebenfalls in Berlin gezeigte großformatige Gemälde „Kain oder Hitler in der Hölle“ zeigt, das Grosz 1944 beendete: Hitler sitzt schwitzend im von ihm selbst entfachten Inferno, während unzählige ameisenhaft kleine Skelette seine Beine hinaufkriechen. Die Welt, aus der Grosz einst das Material für seine Bilder zog, sie liegt in Trümmern.

Bis 25. April, „George Grosz. The Years in America 1933–1958“. Galerie Nolan Judin Berlin, Heidestraße 50, Di.–Sa. 10 bis 18 Uhr