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Archiv-Artikel

Schuldzuweisungen in Balkenformat

Betr.: Berichte über das Tötungsdelikt des Herrn C.: „Wir kriegten doch keine Hilfe“, taz Bremen v. 14. 10 und „Sozialpsychiatrischer Dienst unzurechnungsfähig“, taz Bremen, 19.10.

In dieser Angelegenheit hat die von mir zumeist sehr geschätzte taz mindestens Boulevard-Niveau erreicht: Aus den Äußerungen einzelner beteiligter Personen werden ohne jede distanzierende Überprüfung Schuldzuweisungen in Balkenformat vorgenommen. Es fehlt ein anständig recherchierter zusammenfassender Bericht über den Verlauf der Behandlung von Herrn C. bis zur Tat. Daraus könnte jedermann die jeweiligen Aufgaben und Verantwortlichkeiten erkennen.

Herr C. war zuletzt in kontinuierlicher, verantwortlicher Behandlung einer niedergelassenen Nervenärztin in Zusammenarbeit mit einem psychiatrischen Soziotherapeuten. Diese kombinierte Behandlung wurde gewählt, weil dadurch eine besonders hohe Betreuungsdichte mit Einbeziehung der Lebensverhältnisse ermöglicht wird. Der Sozialpsychiatrische Dienst (SpsD) wurde nach einer häuslichen Auseinandersetzung im Rahmen der Krisenintervention kurz hinzugezogen und hat in dieser Situation den Fortbestand einer akuten Gefährdung verneint.

Ich glaube nicht, dass Frau Dr. Saimeh gesagt hat, dass bei der Beurteilung eines „ruhigen Patienten“ jemand mit der nötigen „psychopathologischen Erfahrung“ – gemeint ist eine hintergründige psychotische Symptomatik – „das bemerkt hätte“ und „ihn nicht nach Hause geschickt“ hätte.

Eine solche Äußerung wäre fachlich völlig falsch; denn erstens kann auch der erfahrenste Psychiater bei einem gefasst auftretenden Patienten einen psychotischen Hintergrund oft nicht erkennen, und zweitens gab es in der Situation keinen annähernd ausreichenden Grund für eine Zwangseinweisung nach dem PsychKG [Psychisch-Kranken Gesetz, d. Red.].

Die Einschätzung des SpsD hat sich in dieser Situation auch als richtig erwiesen. Darüber hinaus hat der für die Weiterbehandlung nicht verantwortliche SpsD seine Mitwirkungsbereitschaft erklärt. Ein gemeinsames Familiengespräch war geplant. Der Mutter war geraten worden, den Patienten bis dahin nicht allein aufzusuchen.

Darüber hinaus haben Sie nicht recherchiert – oder nicht berichtet –, dass es sich bei der getöteten Frau C. um eine sehr erfahrene, kurz zuvor berentete langjährige psychiatrische Stationsschwester des Klinikums Bremen Ost handelte, mit deren guter Kooperation man rechnen durfte. Für uns Kolleginnen und Kollegen war der gewaltsameTod von Schwester Elfriede Cowan bestürzend, unendlich traurig und bitter. Darüber hinaus hat er uns wieder einmal die Grenzen unserer Arbeit aufgezeigt.

Ich bitte die taz um einen würdigen Umgang mit den sehr seltenen Gewaltdelikten einzelner psychisch kranker Menschen und mit unserer oft sehr schwierigen Arbeit. Das schließt eine sorgfältige Kritik, generell und im Einzelfall, natürlich ein und hilft uns, unsere Möglichkeiten weiter zu verbessern.

PROF. PETER KRUCKENBERG, (ehemaliger Direktor des Zentrums für Psychiatrie und Psychotherapie am ZKH Bremen Ost) Bremen