: Die Moral der Meisterdiebe
Der Gauner ist ein Gentleman, der das System mit Intelligenz aushebelt: F. Gary Grays „The Italian Job“ ist nicht das erste Remake eines Caper-Movies, das in unsere Kinos kommt. Was steckt hinter der neuen Lust am smarten Kriminellen, wie sie schon „Ocean’s Eleven“ und „The Good Thief“ antrieb?
von SVEN VON REDEN
Picasso war der größte Dieb aller Zeiten. Er klaute quer durch die Kunstgeschichte und wurde reicher als alle seine Vorbilder zusammen. Das meint zumindest Bob Montagnet. Für Bob ist Picasso ein Vorbild. Über seinem Bett hängt ein Bild, das er angeblich bei einer Stierkampfwette vom Künstler gewonnen hat. Bob ist ein notorischer Spieler – und ein Meisterdieb. Aber er klaut nicht wegen des Geldes. „Bob will kein Geld. Er will etwas, was Geld nicht kaufen kann“, erklärt die 17 Jahre alte Anne, die von Bob vor einem Zuhälter beschützt wird. „Was kann man denn nicht für Geld kaufen?“, fragt ihr ungläubiges Gegenüber. „Schönheit.“ Zu einem neuen Raubzug kann Bob in Neil Jordans „The Good Thief“ daher auch nur überredet werden, weil der Überfall auf das Casino in Monte Carlo nicht den Barmitteln gilt, sondern der Kunstsammlung der japanischen Besitzer.
Auch Thomas Crown hat es auf Kunst abgesehen. Obwohl er als Selfmade-Millionär genügend Geld hätte, sich Werke alter Meister zu kaufen, stiehlt er einen Monet aus dem New Yorker Metropolitan Museum – pikanterweise aus jenem Saal, in dem auch ein gestiftetes Bild aus seiner Privatsammlung hängt. Die Polizei rätselt in John McTiernans „Thomas Crown Affair“ über die Motive des Diebes, nur die auf den Fall angesetzte Versicherungsagentin versteht, dass es Crown um etwas geht, das er nicht kaufen kann: um diesen einen Museums-Monet, aber vor allem um den Thrill des perfekten Verbrechens.
Thomas Crown und Bob Montagnet sind nur zwei Beispiele aus einer ganzen Reihe von Gentleman-Dieben, die das Kino der letzten Zeit bevölkern. Wie Danny Ocean in Steven Soderberghs „Ocean's Eleven“, dessen Fortsetzung „Ocean's Twelfe“ Weihnachten 2004 in die Kinos kommen soll, und Charlie Croker in „The Italian Job“, der heute in Deutschland startet, basieren die Figuren meist auf Vorbildern aus Caper-Movies der 50er- und 60er-Jahre – Filme, in denen ein Meisterdieb mit Hilfe einer Gruppe von Spezialisten einen komplizierten Raub ausführt.
Die Kunstbeflissenheit der Diebe ist allerdings neu: In Jean Pierre Melvilles „Bob Le Flambeur“ von 1955, Vorbild für „The Good Thief“, gibt es weder einen Picasso noch einen Kunstraub. Bob will einfach nur das Geld aus dem Tresor des Casinos. Auch Thomas Crown hat in Norman Jewisons Original von 1968 keine Kunst im Sinn, sondern einen schnöden Bankraub. Zwar stehlen Danny Ocean und Charlie Croker wie ihre Vorbilder aus den Jahren 1960 und 1969 Geld bzw. Gold, sie tun es in den Remakes aber nicht in erster Linie, um reich zu werden: Ocean will eigentlich nur seine Exfrau zurückgewinnen, und Charlie Croker geht es um die Rache an dem Mörder seines väterlichen Freundes. Der hatte ihm zu Beginn von „The Italian Job“ noch eine Lebensweisheit mit auf den Weg gegeben, die Leitspruch aller Gentleman-Gauner sein könnte, die sich in Literatur und Film tummeln, seit Maurice Leblanc 1905 die Figur des Arsene Lupin schuf: „Ein Dieb zu sein sollte dein Leben nicht bestimmen, es sollte dein Leben bereichern.“
Dadurch, dass er nicht nur oder gar nicht des Geldes wegen stiehlt, unterscheidet sich der Gentleman-Gauner klar vom gewöhnlichen Gangster, wie er im amerikanischen Film der 30er- und 40er-Jahre prototypisch dargestellt wurde. „Die Käuflichkeit aller Dinge ist die unabdingbare Voraussetzung für die Ideologie der Gangster […] Das Problem des Gangsters ist es zum Teil, dass er nicht gewillt ist, die Ideologie der freien Marktwirtschaft zu relativieren, wie es Politiker und Wirtschaftsbosse mit Hilfe mannigfaltiger Legitimations-Ideologien taten“, schreibt Georg Seeßlen in „Der Asphalt Dschungel – Geschichte und Mythologie des Gangster-Films“. Der Gangster ist in der Filmgeschichte der Kapitalist ohne Maske. Skrupellos und gewalttätig setzt er das Recht des Stärkeren zur Mehrung seiner Macht und seines Reichtums durch und kann sich so den Zugang zur Gesellschaft erkaufen. Der Gentleman-Gauner – Gentleman-Gangster gibt es nicht – braucht dagegen weder Gewalt noch Waffen, er kämpft mit Kreativität und Intelligenz. Er ist Teil der Gesellschaft, agiert aus ihr heraus, fühlt sich ihr gar überlegen.
Seeßlen vertritt in seinem 1977 erschienenen Buch die These, dass der Gangster eine Art moderner Volksheld ist, zwar nicht unbedingt jemand, den man als Führer haben will, aber jemand, den man heimlich bewundert und der man gerne wäre. Heute allerdings versuchen Politiker und Wirtschaftsbosse weit weniger mit Hilfe von „Legitimations-Ideologien“ die freie Marktwirtschaft zu propagieren – vielleicht taugt daher der Gangster auch nicht mehr zum Volkshelden (außer bezeichnenderweise für viele jugendliche Migranten und andere Minderheitengruppen). Filmgangster sind heute entweder nostalgische Figuren, über die der Fortschritt, der keine Ehre, Nation und Familienbande kennt, hinwegrollt (zuletzt in Scorseses „Gangs of New York“), oder sie taugen mit ihren überkommenen Vorstellungen von Moral und Geschlechterbeziehungen nur zur Witzfigur, die auf die Couch gehört – wie in „Analyse This“, „Analyse That“ oder „Sopranos“.
Der Gentleman-Gauner erweist sich dagegen als zeitgemäßer (männlicher) Volksheld. Er entspricht jenem Männerbild, das Zeitschriften wie FHM oder GQ propagieren – und wird passenderweise von Schauspielern dargestellt, die die Seiten solcher Magazine füllen: Pierce Brosnan (Thomas Crown), George Clooney (Danny Ocean), Brad Pitt (als Oceans Partner Rusty Ryan) oder Mark Wahlberg (Charlie Croker). Der Gentleman-Gauner hat Stil und Selbstbewusstsein, ist kreativ und intelligent, ein Individualist, aber zugleich teamfähig. Er führt keinen Gangster-Lifestyle, sondern ist ein Lifestyle-Gangster, für den ein Raub stilvoller und aufregender ist, als am Bungee zu baumeln. Er ist ein Rebell, hat aber weder eine gesellschaftliche noch politische Agenda.
Die modernen Meisterdiebe stehlen Kunst, um ihren makellosen Geschmack zu bezeugen, doch sie werden auch selber wie Künstler inszeniert. Ihr vermehrtes Auftreten im Mainstream-Kino scheint die These zu belegen, dass Lebensweise und Kompetenzen des Künstlers in einer sich weiter flexibilisierenden und individualisierenden Gesellschaft immer stärker in den gesellschaftlichen Mittelpunkt rücken. Künstler und Gentleman-Gauner sind die Avantgarde der Anpassung an eine unkontrollierte Gesellschaft – oder zumindest eine Gesellschaft, die als solche wahrgenommen wird. Erst dadurch, dass sie weitergehen können als der Normalbürger, der die ja immer noch vorhandenen Gesetze und Normen zu beachten hat, eignen sie sich als Projektionsfläche für die Fantasien des Kinopublikums.
Nur folgerichtig ist es daher, dass die Gentleman-Gauner in den aktuellen Filmen allesamt am Ende besser dastehen als ihre Vorbilder. Kenner des Klassikers mag es ärgern, dass in „The Italian Job“ das berühmte offene Ende des Originals zugunsten eines klaren Happy Ends geändert wurde oder dass den Remakes von „Bob Le Flambeur“ und „Ocean's Eleven“ am Ende jegliche Tragik genommen wird. Diese Eindeutigkeit mag dem Diktat der Drehbuchdoktoren geschuldet sein, es zeigt sich darin aber auch der Wandel dessen, was gesellschaftlich zugelassen ist. Der Verstoß gegen Gesetz, aber nicht Moral (das klarzustellen bemühen sich alle Filme), muss nicht mehr zwangsläufig eine Strafe nach sich ziehen.
Die Moralität der Meisterdiebe drückt sich vor allem in ihrer Monogamie aus. Es scheint, als dürften die modernen Gentleman-Gauner zwar Gesetze brechen, aber nachts nur von der einen perfekten Frau träumen. So wirken die zurzeit begehrtesten Männer Hollywoods in den neuen Caper-Movies fast wie romantische Pennäler. Keine Spur mehr vom Charmeur Michael Caine im Original von „The Italian Job“ oder Frank Sinatras eiskaltem Machismo in „Ocean's Eleven“. Mark Wahlberg hat nur Augen für die Tochter seines Mentors, und George Clooney ist ganz der reuige Ex-Ehemann, der wieder unter die heimische Decke kriechen will. Während der klassische Gangster echte zwischenmenschliche Beziehungen nicht zulassen konnte, weil das die Käuflichkeit aller Dinge in Frage gestellt hätte, so war der klassische Gentleman-Gauner ein Spieler mit den Gefühlen. Die modernen Meisterdiebe hingegen sind Romantiker, die sich wünschen, ihre unsichere Existenz mit Hilfe einer Partnerin zu erden. Und dafür werden sie belohnt: mit Glück im Spiel und Glück in der Liebe.
Darin mag man von linker Seite die Prüderie Hollywoods erkennen oder von rechter Seite ein Zwangsregime „politischer Korrektheit“, die nur von der europäisch-kanadischen Produktion „The Good Thief“ durchbrochen wird: Am Ende bleibt unklar, ob Bob (Nick Nolte) nun Annes Ersatzgroßvater oder Liebhaber ist. Der Rollenwandel der Frau von beliebiger Beute zu ebenbürtiger Partnerin dürfte aber in erster Linie ökonomischen Gründen geschuldet sein. Zeitschriften wie FHM und GQ lassen sich über eine rein männliche Kundschaft finanzieren, Hollywoodkino mit Starbesetzung nur schwer. Ob allerdings Frauen den beim Tete-a-Tete mit Charlize Theron in „The Italian Job“ geradezu versteinerten Mark Wahlberg anziehender finden als den ungemein komischen, aber dennoch selbstsicheren Michael Caine im Original, kann man bezweifeln.
„The Italian Job“. Regie: F. Gary Gray. Mit Mark Wahlberg, Charlize Theron, Edward Norton u. a. USA 2003, 111 Min.