DER VERMITTLUNGSAUSSCHUSS WIRD GEFÄHRLICH INSTRUMENTALISIERT : Ende der parlamentarischen Debatte
Der Vermittlungsausschuss des Bundesrates wird häufig als Scharnier definiert. In ihm werde zwischen divergierenden Interessen der Länder und des Bundes nach Kompromissen im Gesetzgebungsverfahren gesucht. Niemals könne eine Blockadesituation, Folge unterschiedlicher Mehrheitsverhältnisse in Bundestag und Bundesrat, ein Grund dafür sein, im Namen der Effektivität und der Dringlichkeit von Reformen die Mitwirkungsrechte der Länder anzugreifen. Der im Vermittlungsausschuss institutionalisierte Zwang zum Konsens sei eben der Preis für die „föderative Mischverfassung“. So weit die Verfassungstheorie.
Das Problem besteht bei dem jetzt angerufenen Vermittlungsausschuss nur darin, dass es überhaupt nicht mehr um die alte Kontroverse Effektivität versus föderative Mitwirkung und Kontrolle geht. Vielmehr werden in den Ausschuss neue Materien eingebracht, die gar nicht Gegenstand des vorherigen Gesetzgebungsverfahrens im Bundestag waren. Dies trifft auf die Projekte der CDU zur Revision des Arbeitsrechts (sprich: Durchlöcherung des Kündigungsschutzes) ebenso zu wie auf die von der Regierung verlangte Zusicherung, als Nächstes die „große Steuerreform“ auf die Tagesordnung zu setzen. Sogar die Koch/Steinbrück’schen Vorschläge zum Subventionsabbau werden jetzt trickreich eingebracht.
Das heißt nichts anderes, als dass der Vermittlungsausschuss zum Beratungs- und Beschlussfassungsorgan einer inoffiziellen großen Koalition degeneriert. Trotz der Mitwirkung von Parlamentariern auf der Seite des Bundes funktioniert der Ausschuss jetzt als reines Exekutivorgan, wo mit den entsprechenden Bundes- und Landesministerien im Rücken verhandelt wird. Dadurch wird aufseiten sowohl des Bundes wie der Länder die kontroverse und damit klärende parlamentarische Debatte ausgeschaltet.
Und die kritischen Stimmen in den eigenen Parteien werden mit Hinweis auf den Konsenszwang neutralisiert. Was an politischer Kontur noch erahnbar war, verschwimmt. Aber vielleicht wird der gegenwärtige Zustand unseres politischen Systems gerade dadurch bis zur Kenntlichkeit verändert. CHRISTIAN SEMLER