: Die Herzen schlagen häufig türkisch
Beim heutigen U21-Match gegen Deutschland stehen im türkischen Team sieben vom Europabüro entdeckte Talente
DORTMUND taz ■ Die Türken kommen! Was einst Wien und ganz Europa in Angst und Schrecken versetzte, war im Fußball bis Anfang der 90er-Jahre für die gastgebenden Teams Anlass, ein entspanntes „Jippih“ zu rufen. Gegen die selbstverliebten Ballegomanen kam man meist zu leichten Siegen. Das war früher!
„Früher war alles anders“, weiß Metin Tekin. „Bei Länderspielreisen durfte jeder nur eine Cola am Tag trinken. Wollte ein Spieler eine zweite, musste er sie selbst bezahlen.“ Der Leiter des Europabüros des türkischen Fußballverbands lächelt wie einer, der sicher ist, dass diese Zeiten endgültig vorbei sind. Seit Mittwoch residiert die U21-Nationalmannschaft der Türkei im Grandhotel Schloss Bensberg bei Köln und bereitet sich auf das Erste von zwei Ausscheidungsspielen gegen Deutschland zur EM-Qualifikation vor. Was eine Cola in „dieser Domäne des Wohlfühlens“ kostet, will man lieber nicht wissen. Aber keine Angst: Der Verband zahlt auch ein zweites und drittes Getränk.
Erst 1990 wurde in der Türkei die Trennung von Staat und Fußballverband vollzogen – für Metin Tekin der Beginn einer Zeitenwende, die mit Platz drei bei der letzten WM gekrönt wurde. Endlich stand einer Selbstvermarktung keine Bürokratie mehr im Weg, und mit den Fernsehverträgen kam das lang ersehnte Kapital für den Aufbau einer neuen Verbandsstruktur. Geld, das auch Tekin und seinem Büro in Dortmund zu Gute kommt. Jährlich 500.000 Euro lässt sich die Zentrale in Istanbul die Dependance kosten.
Umgesetzt wurde die Idee zu einem Sichtungssystem für türkischstämmige Fußballer in Europa 1998. Erdal Keser, ehemaliger Bundesligaprofi von Borussia Dortmund, war Leiter des Büros bis März 2002. Seitdem ist der 51-jährige Tekin hauptverantwortlich für den sportlichen Bereich. Fürs Kaufmännische steht ihm der 30-jährige Hakan Eseroglu zur Seite. Im Dezember ziehen sie von Dortmund nach Köln um. „Am Anfang“, erinnert sich Eseroglu, „hatten wir nichts, keinen einzigen Namen, nur die Idee, unter den ungefähr 2,3 Millionen aus der Türkei stammenden Menschen in Deutschland gute Fußballer für unsere Nationalmannschaften zu finden.“ Der Erfolg ist bekannt: Yildiray Bastürk, Ümit Davala und Ilhan Mansiz, alle Stammspieler bei der WM 2002, wurden vom Europabüro entdeckt.
Tekin versteht sich als Sichter, als Scout. Fünf Honorartrainer und 20 ehrenamtliche Coaches arbeiten ihm aus Deutschland, Holland, Belgien, Skandinavien und demnächst der Schweiz zu. Jeweils 22 Talente, nach Jahrgängen gegliedert, werden bei bis zu sechs Lehrgängen im Jahr auf ihre Tauglichkeit geprüft. Tekin entscheidet, wer gut genug ist. Und Tekins Wort zählt. Der Mann, der Leo Beenhakker bei Istanbulspor und Joachim Löw bei Fenerbahce assistierte, gilt als Koryphäe. Den Erfolg des türkischen Fußballs erklärt der lustvolle Raucher aber nicht nur mit den veränderten Rahmenbedingungen. Vielmehr erkennt er durch den Einfluss europäischer Trainer einen „positiven Mentalitätswechsel“ bei den türkischen Spielern hin zu mehr Disziplin und besserem taktischem Verständnis.
„Der Vater war Jupp Derwall“, rühmt Tekin den einstigen Bundestrainer, der 1984 an den Bosporus kam und mit Galatasaray Erfolge feierte. Der große Strukturveränderer jedoch war Sepp Piontek, der zu Beginn der 90er-Jahre als Nationaltrainer den türkischen Verband umformte. Selbst im oft vernachlässigten Anatolien existiert inzwischen ein Stützpunkt. 15 davon gibt es insgesamt in der Türkei, der 16. ist das Europabüro.
Das Verhältnis zum DFB sei gut, versichert Tekin. Doch die Konkurrenz um die Spieler nimmt zu. Die meisten Talente entscheiden sich aber für das rote Trikot mit dem weißen Halbmond. Tekin kann mit einem besonderen Pfund wuchern: Emotion. So sagt Halil Altintop vom 1. FC Kaiserslautern: „Mein Herz schlägt türkisch.“ Tekin betont: „Die Entscheidung trifft allein der Spieler.“ Sieben vom Europabüro aus der Masse gefilterte Talente stehen heute Abend beim ersten Spiel gegen Deutschland in Leverkusen (20.30 Uhr/DSF) auf dem Rasen. „Wir sind sicher, langfristig das Niveau zu halten“, sagt Tekin. Welches Niveau? Den dritten Platz im Weltfußball? „Ja“, antwortet Tekin und lächelt so bedrohlich höflich wie die Bediensteten im mondänen Grandhotel Schloss Bensberg. Und leise fügt er hinzu: „Wir sind noch lange nicht am Ende unserer Entwicklung.“ TOBIAS SCHÄCHTER