: Ambivalenz reicht nicht
„Die Wölfe“, ein Stück des NS-Dichters Hans Rehberg, wird nun doch aufgeführt. So fruchtbar die NS-Aufarbeitung sein kann – sie ist ein Selbstläufer im Buhlen um Aufmerksamkeit geworden
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Die alten Plakate sind längst überklebt. In Erlangen wird die von Oktober auf kommenden Sonntag verschobene Premiere des Theaterstücks „Die Wölfe“ von Hans Rehberg von einer Ausstellung und Diskussionen begleitet. Mit diesem pädagogischen Begleitschutz reagiert das Theater Erlangen auf die Proteste gegen die geplante Inszenierung.
Zuerst hatte der Publizist Ralph Giordano eine Wiederaufführung des Stücks, das 1944 in Breslau uraufgeführt wurde, als „unverzeihlich“ angeklagt und auf Rehbergs Karriere im propagandistisch genutzten Theaterbetrieb in der Zeit des Nationalsozialismus verwiesen. Den Bedenken schlossen sich der Oberbürgermeister der Stadt Erlangen und der Kulturausschuss an, bis als Kompromiss herauskam, die Premiere zu verschieben und mit einer Ausstellung zu begleiten, die über den Autor, den Gebrauchswert seiner Texte für die Verherrlichung des Nationalsozialismus und seine möglichen Differenzen mit dem System kritisch informiert. Zudem sind begleitende Diskussionen angesetzt.
Trotzdem gehen die Proteste weiter. Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern kritisierte das Festhalten am Vorhaben der Aufführung als „unerträglich“ und „unverantwortlich“ in einer Zeit, „in der Geschichtsklitterungen an der Tagesordnung sind“. Dem Inszenierungswillen des jungen Regisseurs Marc Pommerening wird unterstellt, dem Autor, Mitglied der NSDAP, ein Forum zu bieten. Als ob das Regietheater mit Texten nichts anderes anzufangen wüsste, als dramatische Texte wie ideologische Programme zu verkünden. Das Theater und die Intendantin Sabine Dhein aber halten an der Premiere fest. Dhein und Pommerening betonten von Anfang an, dass sie gerade die Ambivalenzen des Textes, der mehr sei als ein Durchhaltestück über den U-Boot-Krieg, interessieren.
Man kann noch nicht wissen, ob die Hoffnung Pommerenings, mit dem Stück hinter die ideologische Aufrüstung blicken zu können, aufgeht. Grundsätzlich aber kann die Analyse der Kunst unter der Diktatur sehr fruchtbar sein. Natürlich erhält der Streit um das Recht, das Stück aufzuführen, neue Brisanz durch den Fall des CDU-Abgeordneten Hohmann. Dennoch ist kaum vorstellbar, dass die Kunst des Nationalsozialismus Auslöser oder Verstärker von rückkehrenden nationalistischen Tendenzen sein kann, die ihre Ursachen immer in Entwicklungen der Gegenwart haben.
Es hat wohl kaum zur Neuproduktion von nationalsozialistischem Gedankengut geführt, dass sich Literatur- und Kunstwissenschaften Ende der Siebziger-, Anfang der Achtzigerjahre nach einer langen Zeit der Verdrängung und Tabuisierung mit der Kunstproduktion des Nationalsozialismus befassten. Das führte nicht nur zu einer Entdeckung der Banalität in Film, Kunst und Literatur, die dem Nationalsozialismus als Material der Unterhaltung und Ablenkung gedient hatte, und zu den erwarteten Begegnungen mit einem übertriebenen Pathos und einem versteinerten Kunstbegriff. Das war die eine Seite, die vorhersehbare, die den Kanon der Kunst, auf den man sich als das positive Erbe der Moderne seit den Wiederaufbaujahren gern wieder bezog, unangetastet ließ.
Viel erschreckender aber war die Einsicht in die Überschneidungen zwischen Moderne und faschistischer Ideologie: All die Kunstgesten, die man als heroisch und widerständig gerettet glaubte, die diffamiert und verboten worden waren, wie der Expressionismus, der Futurismus, der Konstruktivismus, erwiesen sich als längst nicht so resistent gegen den Nationalsozialismus wie lange behauptet. Ebenso wie in der Politik die Utopien, die Bilder von einer neuen und befreiten Gesellschaft entwarfen, in ihren Mitteln Konzepte der Vernichtung und Ausrottung des Alten nicht ausschlossen. Damit zerfiel der Glaube der absoluten Trennbarkeit in gute und böse, moderne und faschistische, richtige und falsche Kunst. Und mehr noch: Die humanistische Grundverabredung, Kunst immer auf der Seite des Guten oder doch zumindest der kritischen Instanz zu wähnen, ließ sich nicht mehr halten.
Ein wichtiger Bildungsschocker der Zeit, die „Männerphantasien“ von Klaus Theweleit, ging aus einem intensiven Blick auf Freikorpsliteratur und Soldatenromane hervor, um festzustellen, welche Figuren eigentlich unkritisch und unbeobachtet fortgeschrieben wurden, die der Ideologie des Nationalsozialismus den Nährboden geboten hatten: Figuren von männlichen Tugenden, Verklärung von Opfer und Erlösung, wurden seitdem viel stärker als Verdachtsmomente beobachtet.
Das zu verdauen, blieb anstrengend. Der Schrecken über die Zwiespältigkeit der Moderne, über die Anschlussfähigkeiten zwischen Utopien und Totalitarismen brachte schließlich eine ganze ästhetische Schule hervor. Davon lebten nicht nur die Stücke von Heiner Müller, Elfriede Jellinek oder Einar Schleef. Sie wurde geradezu zu einem Hype des Stadttheaters, zum unverzichtbaren Bestandteil im Ausweis eines kritischen Bewusstseins.
Vor diesem Hintergrund ist die Aufregung und Ablehnung jeglicher Aufführung des Stücks einerseits unverständlich. Wohl aber kann man sich andererseits gut ein starkes Genervtsein vorstellen darüber, wie das Thema auch zu einem Selbstläufer geworden ist, wann man in der Konkurrenz um öffentliche Aufmerksamkeit einen Punkt machen will.
Das Stück, „Die Wölfe“ von Hans Rehberg, um das es geht, existiert nur in Manuskripten, von denen eines der Sohn des Autors, der bekannte Schauspieler Hans-Michael Rehberg, dem Regisseur gegeben hat. Das gibt der Diskussion im Vorfeld auch eine leicht mythische Dimension: ein zu Recht vergessener Autor, wie Peter von Becker, Redakteur beim Berliner Tagesspiegel, mit Blick auf die verquaste Sprache meint, oder die Entdeckung eines ambivalenten Autors, wie Peter Rühle meint. Ambivalenz allein reicht aber heute nicht mehr als Grund für eine Entdeckung. Ambivalenz zu entdecken ist mittlerweile zu einem Selbstläufer geworden.