: „Ein Kill-Befehl fürs Etikett“
Interview CHRISTIAN RATH
taz: Spam-E-Mails sind doch eigentlich eine gute Sache …
Peter Schaar: Wieso?
Sie machen den Internetbenutzern klar, dass sie mit ihren Daten, etwa der eigenen E-Mail-Adresse, vorsichtig umgehen sollten. Vermutlich stecken pädagogische Datenschützer hinter der Spam-Flut …
Ganz sicher nicht. Ich bin ja selbst Opfer …
Auch Sie als neuer Bundesdatenschutzbeauftragter waren also zu freigebig mit Ihrer E-Mail-Adresse?
Ja, wahrscheinlich sind wir alle noch zu leichtfertig.
Trotzdem Glückwunsch, Sie sind auf Bundesebene der erste grüne Datenschutzbeauftragte.
Danke, aber mein Amt gehört nicht der Partei. Immerhin wurde ich gestern vom Parlament mit Mehrheit gewählt.
Sie halten es also wie Joschka Fischer? „Es gibt keinen grünen, sondern nur einen deutschen Außenminister“, hat er beim Amtsantritt sinngemäß gesagt.
Das sehe ich für meinen Bereich genauso.
Werden Sie gegenüber der Politik, zum Beispiel gegenüber Innenminister Otto Schily, eher kooperativ oder kämpferisch auftreten?
Meine Kontrollaufgaben stehen im Gesetz, da habe ich wenig Wahl. Aber daneben werde ich auch viel Gewicht auf Beratung legen. Es ist schließlich besser, Verstöße gegen den Datenschutz zu vermeiden, als sie später aufzudecken.
Beratung kann ja dezent unter vier Augen oder öffentlich im Fernsehen stattfinden …
Wer mit mir unter vier Augen eine Idee besprechen will, muss nicht befürchten, dass ich sie später in der Tagesschau zerpflücke. Wer aber in der Öffentlichkeit den Datenschutz in Frage stellt, sollte sich nicht wundern, wenn ich auch öffentlich reagiere.
Im Vorfeld Ihrer Wahl waren ja manche skeptisch, weil Sie kein Jurist sind, sondern Volkswirt …
Solche Vorwürfe nehme ich ganz locker. Ich habe 16 Jahre in der Hamburger Datenschutzbehörde gearbeitet. Da lernt man das Datenschutzrecht kennen. Außerdem kann ich auch als Volkswirt spezifische Sichtweisen einbringen. Denn Datenschutz muss künftig mehr als ökonomische Frage betrachtet werden.
Wie das?
Guter Datenschutz wird zur Voraussetzung für gute Geschäfte werden. Gerade im Internet gilt: Wenn ein Unternehmen die erhaltenen Daten missbraucht oder nachlässig behandelt, schlägt das aufs Image und führt zu wirtschaftlichen Einbußen.
Und woher weiß der Kunde, welches Unternehmen sich beim Datenschutz vorbildlich verhält?
Wir brauchen ein Gütesiegel, das von unabhängigen Sachverständigen vergeben wird. Dieses Siegel wäre freiwillig, die Unternehmen könnten aber damit werben.
Und warum gibt es das noch nicht?
Seit 2001 ist im Datenschutzgesetz die Einführung eines solchen Siegels vorgesehen. Es fehlt nur noch ein Ausführungsgesetz. Aber ich bin sicher, dass das Innenministerium bald einen Entwurf vorlegen wird.
Für etwas Rabatt lassen sich die Kunden ja gerne ihre Daten entlocken …
Wir müssen die Unternehmen davon überzeugen, dass sie mit weniger Daten bessere Ergebnisse erzielen können.
Was heißt das zum Beispiel für die Kundenkarte im Kaufhaus?
Wenn das Kundenverhalten dabei anonym ausgewertet würde, würden sich sicher noch mehr Kunden an solchen Rabattsystemen beteiligen.
Man könnte Kundenkarten, bei denen das persönliche Kaufverhalten gespeichert wird, auch verbieten. Wäre das für Sie eine Alternative?
Nein. Wer als Kunde dem Handel freiwillig solche Daten geben will, soll das tun. Ich werde aber prüfen, ob die Betroffenen im Vorfeld genügend aufgeklärt werden. Auch vermeintlich harmlose Daten können Folgen haben.
Zum Beispiel?
Denken Sie nur an die Chatforen im Internet. Wer heute als Zwanzigjähriger dort seine Meinung äußert, wird vielleicht in zehn Jahren bei einem Bewerbungsgespräch damit konfrontiert. Das öffentliche Wort im Internet ist eben nicht flüchtig. Die Benutzung eines Pseudonyms im Chatroom schützt vor solchen Langzeitfolgen.
Sie gelten als Experte für technische Lösungen im Datenschutz. Was heißt das?
Wo möglich, sollte man schon bei der Entwicklung einer neuen Technik vermeiden, dass sensible Daten entstehen. Bisher war der Datenschutz zu sehr darauf bezogen, die Verwendung bereits entstandener Daten zu kontrollieren.
Wo entsteht derzeit eine Technologie, auf die Datenschützer Einfluss nehmen sollten?
In Zukunft werden die Strichcode-Etiketten in Supermarkt und Kaufhaus durch neue intelligente Etiketten ersetzt. Diese Smart-Tags haben einen kleinen Sender eingebaut, der auch Informationen speichern und abgeben kann. Er ist so klein, dass er unsichtbar in die Ware integriert werden kann. Diese neue Technologie vereinfacht nicht nur Lagerhaltung und Abrechnung, sondern erschwert auch Diebstähle. Mittelfristig könnte mit Hilfe des Senders gestohlene Ware sogar verfolgt werden.
Und was sagen Sie als Datenschützer dazu?
Wenn plötzlich viele Waren über kleine eingebaute Sender verfügen, wäre jeder ständig lokalisierbar – ähnlich wie heute schon durch ein eingeschaltetes Handy. Will man solche heiklen Daten vermeiden, ohne die neue Technologie zu verhindern, muss den Sendern eine Art Kill-Befehl eingebaut werden. Sie müssten sich dann selbst deaktivieren, sobald der Kunde an der Kasse bezahlt hat.
Und woher weiß der Kunde, dass sich der Sender in seinem Hemdkragen tatsächlich abgeschaltet hat?
Ich wünsche mir, dass es dann kleine, billige Geräte zu kaufen gibt, mit denen man das überprüfen kann. Datenselbstschutz nennt man so etwas.
Die flächendeckende Kontrollierbarkeit könnte auch mit der neuen Autobahnmaut kommen …
Nach den jetzigen Plänen sollen die Digitalfotos nur dann weiterverwendet werden, wenn sie ein mautpflichtiges Fahrzeug zeigen. Bilder von Pkws werden sofort gelöscht. Ich werde mich mit dem Mautsystem aber auf jeden Fall noch intensiv auseinander setzen.
Sind Datenschutzfragen im privaten Raum heute wichtiger als die Überwachung durch den Staat?
So einfach kann man das nicht trennen. Denn Polizei und Geheimdienste versuchen immer wieder, auf die Daten von Unternehmen und anderen privaten Einrichtungen zuzugreifen. Diese werden so zu Hilfssheriffs gemacht.
Was kann man dagegen tun? Anschläge wie der am 11. 9. 2001 und danach können schnell dazu führen, dass bestehende Grenzen eingerissen werden.
Das wichtigste Prinzip ist natürlich auch hier die Datenvermeidung. Wenn sensible persönliche Daten erst gar nicht entstehen und gespeichert werden, dann muss man sich später auch nicht darum streiten, wer Zugriff haben darf.
Entwickelt sich Deutschland zum Überwachungsstaat?
Nein, im Ganzen gesehen werden die Bürger heute nicht stärker überwacht als in den 50er-Jahren. Die Menschen sind heute mobiler und haben deutlich mehr Kommunikationswege zur Verfügung. Deshalb ist staatliche Überwachung heute auch vielfältiger als damals.
Brauchen wir biometrische Merkmale im Pass und Personalausweis?
Das hat der Gesetzgeber bereits entschieden. Derzeit geht es um die Auswahl, welches Merkmal in die Ausweise soll.
Wofür plädieren Sie?
Ich spreche mich vorsichtig für das Irismuster aus. Wenn mir später jemand in die Augen leuchtet, dann ist mir wenigstens klar, dass ich kontrolliert werde. Fingerabdrücke oder Zellmaterial hinterlasse ich dagegen an vielen Orten. Da weiß ich nie, ob der Staat anschließend Spuren untersucht und mit den biometrischen Daten aus meinem Pass abgleicht.
Wenn das lange geplante Informationsfreiheitsgesetz kommt, wird über dessen Anwendung möglicherweise auch der Datenschutzbeauftragte wachen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Warum?
Weil Sie hier plötzlich die Weitergabe von Daten erleichtern müssten, während Sie sonst genau dies erschweren.
Ich sehe da keinen Widerspruch. Die Aufgaben sind nicht gegenläufig, sondern unterschiedlich. Beim Datenschutz muss ich verhindern, dass der Staat mehr über den Bürger weiß, als er wissen dürfte. Bei der Informationsfreiheit soll der Bürger am Wissen des Staates teilhaben. Es geht also beide Male um die Interessen des Bürgers.
Gibt es Beispiele aus der Praxis, dass diese Kombination funktioniert?
Ja, aus den Ländern Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein. Auch Kanada kennt dieses Modell.
Die Amtszeit Ihres Vorgängers Joachim Jacob endete eigentlich schon am 2. Juli, doch Ihre Ernennung hat sich lange hingezogen. Wurde das Amt des Datenschutzbeauftragten dadurch beschädigt?
Nein. Ich hätte mir natürlich gewünscht, dass es schneller geht. Jetzt bin ich dafür besonders gut vorbereitet.