: Wenn Geister mit Steinen werfen
Menschen, bei denen es spukt, zweifeln schnell an ihrer geistigen Gesundheit – und der Psychiater auch. Aber ein bisschen Telekinese ist noch lange kein Anlass zur Panik: Angelika Hirsch berät Menschen, die übersinnliche Erfahrungen gemacht haben. Dabei ist sie Religionswissenschaftlerin
VON WIBKE BERGEMANN
Die Frau fürs Paranormale ist nicht leicht zu finden. Im Telefonbuch gibt es keinen Eintrag „Gespenster“ oder „Geisterjägerin“, der zu Angelika Hirsch führt. Die 49-Jährige mit den kurzen blonden Haaren und dem gut gelaunten Lächeln arbeitet als Beraterin bei der Offenen Tür Berlin, einer von Jesuiten geleiteten Anlaufstelle für Menschen in Lebenskrisen. Viele, die hierher kommen, kämpfen mit psychischen Problemen. Und so finden auch viele Spuk-Opfer zu Frau Hirsch: Weil sie sich ihre außergewöhnlichen Erlebnisse nicht erklären können, beginnen sie an sich selbst zu zweifeln. „Die kommen mit der Frage: Bin ich noch normal oder drehe ich jetzt durch?“, erzählt Hirsch. Auch sie selbst habe natürlich zunächst Zweifel, wenn jemand sagt, „bei mir spukt’s“. Doch die Erfahrung zeigt: Dann, wenn jemand Angst hat, verrückt zu werden, ist oft genau das Gegenteil der Fall. Wer durch paranormale Erlebnisse völlig außer sich gerät und ernsthaft an seiner geistigen Gesundheit zweifelt, der sei mit großer Wahrscheinlichkeit nicht psychotisch.
Sie berichtet vom Fall eines Rentners, der sie vor zwei Jahren aufsuchte: In seiner Wohnung fielen Gegenstände grundlos zu Boden, vor dem Haus wurde ein zentnerschwerer Stein verrückt, auf sein Auto ging ein Steinhagel nieder. Völlig verängstigt wandte sich der Mann an Hirsch. „Man muss Menschen mit solchen außergewöhnlichen Erfahrungen ernst nehmen“, sagt sie, das sei das Wichtigste bei ihrer Arbeit. An Geister glaubt die gelernte Religionswissenschaftlerin deshalb noch lange nicht. Doch sie ist überzeugt, dass es mehr gibt „im Himmel und auf der Erde, als wir wissen“. Es gebe eben Dinge, die nicht in unser Ordnungssystem hineinpassen. „Für uns sind Physik und Psychologie völlig getrennte Bereiche“, sagt Hirsch. „Das ist eine Konvention, die wir aufgestellt haben. Die ist aber nicht zwingend.“
Im Fall des Rentners ließ sich Hirsch in mehreren Beratungsgesprächen die Begleitumstände des Spuks schildern: Der Mann, selbst kinderlos, hatte Besuch von einem Neffen, mit dem ihn ein besonders enges Verhältnis verband. Nun jedoch entwickelten sich Spannungen zwischen den beiden Männern. Bei einem gemeinsamen Ausflug kam es beinahe zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Auf der Rückfahrt ging es los: Das Autoradio schaltete sich von alleine an. Der Zigarettenanzünder flog aus seinem Halter, ohne dass jemand ihn berührt hatte. In der Wohnung setzte sich der geheimnisvolle Schabernack fort.
Ein Ende hatte der Spuk erst, als der Neffe abreiste. Danach wurde alles wieder normal in der Wohnung des Rentners. Jedenfalls fast: Die Fliegen, die zuvor für gewöhnlich um eine der Lampen kreisten, kehrten nicht mehr zurück. „Selbst diese Fliegenplage wünschte sich der Mann zurück, um die alte Ordnung wiederherzustellen“, erzählt Hirsch. „Solche Ereignisse lösen besondere Angst bei den Betroffenen aus, denn sie hebeln alle Gesetzmäßigkeiten und Gewissheiten aus, auf die man sich im Alltag normalerweise verlässt. Die Welt gerät aus den Fugen.“
Was der Rentner ihr schilderte, war für Hirsch ein klarer Fall: eine „klassische Spukgeschichte“ mit geradezu lehrbuchhaftem Ablauf. Und wenn Hirsch von „klassischen Spukgeschichten“ spricht, meint sie tatsächlich handfeste Telekinese. Im Zentrum des Geschehens steht für gewöhnlich eine Person: der „Spukauslöser“. In diesem Fall seien die Vorfälle von dem jüngeren Mann ausgegangen, erklärt Hirsch. Statt den Streit mit seinem Onkel offen auszutragen, habe er sich auf andere Weise gewehrt. „Es gibt offenbar Menschen, die reagieren auf eine für sie ausweglose Situation anders als normal: Die seelische Dramatik, die sie erleben, wandeln sie in sichtbare Erscheinungen in der materiellen Welt um.“
Gibt es also Telekinese wirklich? Seit Jahrzehnten versuchen Parapsychologen, das Phänomen zu beweisen – ohne Erfolg. Obwohl immer wieder spektakuläre Fälle bekannt werden, ist es Kameraleuten oder Wissenschaftlern noch nie gelungen, schwebende Gegenstände oder Ähnliches hieb- und stichfest zu dokumentieren. „Solche Phänomene lassen sich nicht provozieren“, sagt Hirsch. „Es ist seltsam: Immer wenn es gelingt, ein außergewöhnliches Phänomen mit der Kamera oder dem Mikrofon einzufangen, geht dennoch etwas schief. Es gibt eine Unschärfe oder einen toten Winkel. Bis jetzt hat kein Bild oder Ton den hundertprozentigen Beweis liefern können.“ Das sei das Wesen des Spuks, meint Hirsch: „Er lässt sich nicht packen.“
„Seelische Gewitter“ oder „nach außen verlagerte Albträume“ nennt der Geisterjäger Walter von Lucadou spontane Fälle von Telekinese. Seit 1989 leitet der Physiker und Psychologe die Parapsychologische Beratungsstelle in Freiburg, eine bundesweit einzigartige Einrichtung, die vom Land Baden-Württemberg mitfinanziert wird. Lucadou versucht sich dem Phänomen der Telekinese wissenschaftlich zu nähern. Seinen Beobachtungen zufolge verläuft eine Spukgeschichte meist in vier Phasen.
Diese Phasen konnte Hirsch auch bei dem Rentner und seinem Neffen beobachten: Auf die Überraschungsphase, die alle Beteiligten in Verwirrung stürzt, folgt eine Verschiebungsphase, in der die Betroffenen versuchen, dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Doch das Phänomen verschiebt sich von den erwartbaren, bereits erlebten Ereignissen auf neue Objekte. „Der Stein wird garantiert nicht aufs Auto fallen, wenn ich gerade hingucke“, sagt Hirsch. Und schließlich die Absinkungsphase: Nach einer Weile lässt der Spuk nach. Dann beginnt der Spukauslöser, der von den Erscheinungen in irgendeiner Form profitiert hat, dem Geschehen ein wenig nachzuhelfen und tatsächlich Hand anzulegen. „Dabei wird er natürlich erwischt, und alle Beteiligten meinen nun, den ganzen Spuk entlarvt zu haben“, erklärt Hirsch. Endlich scheint es eine Erklärung für alle außergewöhnlichen Ereignisse zu geben. Auch der Rentner erwischte seinen Neffen, wie er eine Cola-Flasche unauffällig in die Luft warf, um eine Geisterhand vorzutäuschen. Einen Teil des Spuks konnte sich der Mann nun erklären. Doch es blieben Vorfälle, in denen der Neffe beim besten Willen nicht nachgeholfen haben konnte.
Am Ende setzt die Verdrängungsphase ein: Die Spukauslöser werden als Betrüger abgestempelt, die Betroffenen verdrängen die paranormalen Erfahrungen. Es sei erstaunlich, wie schnell solche Geschichten vergessen werden, meint Hirsch, nach dem Motto: „Was es nicht geben darf, kann es nicht geben.“
Die Religionswissenschaftlerin stieß während ihres Studiums auf die Parapsychologie. „Wie die meisten Leute dachte ich, das sei ein Thema für die Boulevardpresse. Etwas, womit Kartenleserinnen und andere Scharlatane viel Geld machen.“ Dann weckte eine Vorlesung über Okkultismus und Parapsychologie ihre Neugier. Dieses Wissen hilft ihr heute, Leute mit übersinnlichen Erlebnissen ernst zu nehmen. Und sie nicht für verrückt zu erklären, wie die Betroffenen es oft an anderer Stelle erleben: „Viele Psychiater und Psychologen sind mit diesen Themen nicht vertraut und sehen gleich einen Fall für die Psychiatrie.“ Hirsch erzählt von einer Frau, die den Tod eines nahen Verwandten vorausgesehen hatte. Als sie sich damit an einen Psychiater wandte, wollte dieser die Frau einweisen. „Die Frau war überaus gekränkt, als sie zu uns kam. Ich habe ihr einfach zugehört und ihr gesagt, dass es solche Erlebnisse geben kann, dass das auch anderen Menschen passiert.“ So einfach sei die Lösung manchmal.