: Amerikas Monster zotteln in uns
Von „Lassie“ bis zum 11. September: Das Junge Theater zeigt US-Mythen und -Klischees aus der Sesamperspetive
Unter den Perspektiven auf Amerika, die das Junge Theater mit seiner Reihe „Mad(e) In America“ derzeit eröffnet, bietet der selbst produzierte „Manamana-Abend“ sicherlich die skurrilste – vielleicht auch die zwiespältigste.
Regisseurin Ludmilla Heilig betrachtet die Welt auf eine ungewöhnliche, den Meisten trotzdem wohlvertraute Weise: Nämlich mit Liedern wie „Quietsche-Entchen“, mit Game-Shows, bei denen man bis 40 zählen muss und Tanzeinlagen von zotteligen Monstern. Das in Ringelshirts gekleidete Ensemble inszeniert die Wirklichkeit als Sesamstraßenfolge.
Vor einer braunen Backsteinkulisse wird gezählt, buchstabiert, gealbert und Musik gemacht – in einigen Momenten ganz hervorragend. Was sie als Kinder von der bunten Bilderflut gelernt haben, verwenden die vier auf der Schwankhallenbühne nun, um selbst einen Blick auf Amerika werfen: auf seine Mythen und Klischees – von „Lassie“ bis zum 11.9. Schon der erste Sketch nach dem harmlosen Einstiegssong „Manamana“ macht deutlich, welche Gratwanderung der Blick durch die Sesamstraßen-Brille bedeutet. Den Katastrophentag erlebt „KDF“ (Frosch Kermit) als Sportreporter auf dem Dach des World Trade Center.
Fröhlich kommentiert er die Flugkunststücke seiner „gefiederten Freunde“ – das Staunen über den „großen, dicken Vogel“, der sich von weitem nähert, schlägt nach dessen Aufprall im Nachbarturm in kindliche Begeisterung um: „Toll, hier werden die Leute mit dem Flugzeug ins Büro geflogen!“ Die Entscheidung, ob das nun eine anti-amerikanische Geschmacksentgleisung ist, oder ob die Einnahme dieser naiven Perspektive eine Absage an jedweden Versuch bedeutet, etwas Unfassbares wie einen dreitausendfachen Mord zu erklären (und ihn damit zu relativieren), bleibt natürlich an den Zuschauern hängen.
Der „Manamana-Abend“ selbst legt sich ungern fest. Immer wieder wird das Setting des Vorschulfernsehens verlassen, um die Kinderlieder in neue Kontexte einzubetten: Im Song „Ich mag Müll“ besteht der Abfall aus Menschen, und „Baby, du kannst auf mich zählen“ handelt nicht von unbedarfter Körpererkundung sondern vom kalkulierten Einsatz des Leibes als sexuellem Kapital.
Nur selten kippt die Performance in seichte Polit-Satire um. Gelegentlich erliegt sie jedoch der Versuchung, lustvoll nostalgisch in Kindheitserinnerungen zu schwelgen – worauf man als Zuschauer nur allzu gerne anspringt. Zu tief sitzen dies- und jenseits des Bühnenrandes die entsprechend aktivierbaren Muster. Was zusätzlich zu allen Mehrdeutigkeiten die Frage aufwirft: Wurden wir damals, um 18 Uhr vor dem Fernseher, vielleicht selbst zu Sesamstraßen-Monstern gemacht? Till Stoppenhagen
Weitere Aufführungen: 4. und 6.11. sowie vom 10. bis 14. 11., jeweils 20.30 Uhr