: Ein mitreißender Revolutionär
Am Donnerstag jährt sich der Todestag von Enrique Schmidt zum zwanzigsten Mal. Der Nicaraguaner war an der Kölner Uni AStA-Auslandsreferent und organisierte hier Unterstützung für die Sandinisten
Von Sebastian Sedlmayr
Enrique Schmidt muss am Morgen seines Todestages glücklich erwacht sein. Tags zuvor, am 4. November 1984, hatte die sandinistische Partei Nicaraguas bei den ersten freien Wahlen seit dem Sturz des Diktators Anastásio Somoza jr. 67 Prozent der Stimmen geholt. Der 1979 errungene militärische Sieg der Sandinisten war damit demokratisch legitimiert. Schmidt hatte als Postminister im Kabinett des alten und neuen sandinistischen Präsidenten Daniel Ortega eine glänzende Zukunft vor sich. Sein Traum von Gerechtigkeit und Freiheit für das nicaraguanische Volk, das jahrzehntelang von wenigen Familienclans gegeißelt worden war, schien greifbar.
Doch die von den USA unter Präsident Ronald Reagan finanzierten Contrarebellen, die das sozialistische Modell der Sandinisten gewaltsam zu sabotieren versuchten, standen im Weg. Sie wurden Schmidt an jenem 5. November zum Verhängnis. Ein Schuss aus der Waffe eines Söldners tötete den Guerrillero in einem Gefecht 90 Kilometer vor der Hauptstadt Managua. Er wurde 35 Jahre alt.
Schmidts Tod hatte weitreichende Folgen, auch für Köln. Hier hatte der Maschinenbauer Ende der 60er Jahre studiert, erste politische Kontakte zur deutschen Linken geknüpft. Sein Büro als AStA-Auslandsreferent an der Universität lag gegenüber dem des heutigen Kölner DGB-Vorsitzenden Wolfgang Uellenberg-van Dawen. Schmidt sei ein „unabhängiger, demokratischer Sozialist gewesen“, erinnert sich der Gewerkschafter heute. „Für ihn war Revolution nicht Strategie, sondern ein Mittel zur Beseitigung des verbrecherischen Somoza-Regimes.“
Als Enkel eines preußischen Einwanderers wuchs Schmidt in Chinandega auf, unweit der Pazifikküste und 20 Kilometer vom größten Hafen des Landes Corinto entfernt. Die Stadt gilt als einer der heißesten und trockensten Flecken Nicaraguas. Schmidt besuchte dann die weiterführende Schule der Salesianer Mönche in Granada, ging mit hervorragenden Zensuren an die Katholische Universität Managua und studierte Maschinenbau. Ein DAAD-Stipendium führte ihn 1968 erstmals nach Köln.
Hilfe für Nicaragua
Die Schmidt kannten, beschreiben ihn als bescheiden, ruhig, sehr zielstrebig und fleißig. Trotz Folterung im nicaraguanischen Gefängnis blieb er aufrecht. „Ich werde nie vergessen, wie er nach seiner Haft nach Köln kam, die Finger versteckt, damit man seine abgezogenen Nägel nicht sehen konnte, aber keineswegs verbittert, sondern mit einem ruhigen, klaren Blick nach vorn“, erzählt einer von Schmidts Kölner Freunden.
Schmidt war ein Kommunikationstalent. Der Sandinist verstand es, fast die gesamte bundesdeutsche sozialdemokratische Führung für die nicaraguanische Sache zu begeistern. Der umtriebige Hans-Jürgen Wischnewski, Bremens Bürgermeister Henning Scherf, selbst Ex-Bundeskanzler Willy Brandt standen ihm besonders nahe und unterstützten ihn im Kampf gegen die Contras. Auf dem SPD-Parteitag 1984 durfte Schmidt eine Rede halten, in der er für Solidarität warb. Es funktionierte. „Wir haben die Administration Reagan in diesen Fragen hier in aller Deutlichkeit zu verurteilen“, rief Wischnewski anschließend und bat die Genossen, für den Verein „Internationale Solidarität, Hilfe für Nicaragua“ zu spenden.
Dieser und andere Partnerschaftsvereine sprossen Mitte der 80er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland wie Pilze aus dem Boden. Auch in Köln hatte sich eine Initiative gebildet. Die Ironie der Geschichte: Erst die Nachricht von Schmidts Tod gab ihr den nötigen politischen Schub, um zunächst mit Unterstützung linker Sozialdemokraten, später mit offizieller Genehmigung des Rates der Stadt Köln, eine Städtepartnerschaft mit der nicaraguanischen Hafenstadt Corinto zu gründen.
Die Welt, auch Köln, hat sich seither grundlegend verändert. 1984 weigerte sich der Kölner Stadt-Anzeiger noch, eine Traueranzeige mit Solidaritätsbekundung für Schmidt abzudrucken, in der die Evangelische Studentengemeinde und der AStA der Bundesregierung unterlassene Hilfeleistung vorwarfen.
Neue Solidarität nötig
Von der in Bonn regierenden CDU kam kein offizieller Kommentar zum Tod des sandinistischen Ministers. Heute berichtet die Zeitung über den Besuch des sandinistischen Bürgermeisters von Corinto und der Kölner CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma empfängt ihn sogar mit allen Ehren im Rathaus (taz berichtete).
Viel stärker als Köln hat sich allerdings Nicaragua verändert. Seit der Wahlniederlage der Sandinisten 1990 ist das Land in tiefe Agonie versunken. Nach dem Sieg von Violeta Chamorro, der Witwe des zwölf Jahre zuvor ermordeten Oppositionsführers, dessen Tod das Ende des Somoza-Regimes besiegelt hatte, kam zwar nach einer Dekade des Bürgerkriegs der Frieden. Doch Korruption und eine neoliberale Wirtschaftspolitik halten den Großteil der rund vier Millionen Einwohner in Armut.
Nicaragua gilt heute als ärmstes Land Mittelamerikas mit den schlechtesten Entwicklungschancen. Die „Nicas“ hoffen darauf, dass Städtepartnerschaften wie die mit Köln nicht gänzlich einschlafen, auch wenn der spektakuläre revolutionäre Kampf vorbei sein mag. Noch einmal könnte Schmidt für ein Aufleben der deutsch-nicaraguanischen Solidarität sorgen. Sein 20. Todestag bietet dazu Gelegenheit.
Hans Hübner, Werner Ley u.a. (Hg.): „Enrique Schmidt-Cuadra – ein Nicaraguaner zwischen Köln und Managua“, Schmidt von Schwind Verlag 2004, bis 4.11. zum Subskriptionspreis von 10 Euro direkt beim Verlag (schmidtvonschwind@netcologne.de), dann im Buchhandel für 19,80 Euro„Enrique Schmidt – Vom AStA-Referenten zum Kommunikationsminister“: Kölner Zeitzeugen berichten, 3. November, 19.30 Uhr im Café Himmelsblick (FH Köln, Claudiusstr. 1), Eintritt: 5 (3) Euro