„Zuscheißen, fertig“

Zum Glück gibt es die Wirtschaftskrise: Dresden hat mit den „Webern“ einen Theaterskandal. Leider einen kleinen

Irgendwer findet sich immer, der mit den Krisen sein Geschäft macht, das ist das Schöne am Kapitalismus. In Gerhart Hauptmanns sozialem Drama „Die Weber“ ist es ein Konfektionsreisender, der seine Chancen nutzt: „Ich mach mit’n Fabrikanten halbpart. Je mehr der Weber hungert, desto fetter speis ich.“

Auch der Theaterregisseur Volker Lösch, der Hauptmanns Stück von den hungernden und am Ende revoltierenden schlesischen Webern am Staatsschauspiel Dresden inszeniert hat, weiß, wie man in seinem Metier von den gesellschaftlichen Krisen profitiert. „Wir Theaterleute haben aufgrund des Elends draußen paradoxerweise das Glück, ‚Die Weber‘ machen zu können. Je dunkler es draußen wird, desto erregender wird die Arbeit drin“, im Theater, erklärt er offenherzig im Programmheft. So outet man sich als Konfektionsreisender in Sachen Massenarbeitslosigkeit. Soll noch jemand sagen, die Krise böte dem Kulturbetriebsprofi nicht auch ihre Chancen.

Lösch montiert Szenen aus Hauptmanns Naturalismusreißer vom Ende des vorletzten Jahrhunderts mit Dokumentarmaterial von heute. Der Regisseur hat Dresdner Bürger nach ihren Ängsten und Sehnsüchten gefragt: „Sie befinden sich in einem rechtsfreien Raum. Wenn all Ihre Wünsche erfüllbar wären, wie sähen diese Wünsche aus?“ Gefährliche Frage. Die Antworten erlauben tiefscharfe Einblicke in ostdeutsche Befindlichkeiten. Sie erzählen von Demütigungen und von regressiven Rachefantasien: „Ich würde se einbuddeln bis hier hin, und den Rest, der rausguckt, anpissen und zuscheißen. Exekutive, Legislative, einbuddeln, zuscheißen, fertig.“

Die authentischen Texte lässt Lösch von einem Laienchor mit Wucht von der Rampe ins Publikum schmettern. Das Verfahren ist simpel, aber wirkungsvoll. So wirkungsvoll, dass Dresden jetzt seinen kleinen Provinztheater-Aufreger hat. Die Bild-Zeitung empört sich auf der Titelseite über den „Skandal des Jahres“, weil der sächsische Ministerpräsident in einem der Chortexte als „dumme Sau“ bezeichnet wird. Bild: „Schlimm“. Etwas Besseres konnte Lösch und dem überregional kaum wahrgenommenen Dresdner Theater nicht passieren.

Aber die Kraft von Löschs Inszenierung erschöpft sich nicht in grellen Reizvokabeln. Sie ist ehrlich genug, Ambivalenzen zuzulassen. In der ersten Szene sitzt der Chor vor einem Logo des Arbeitsamts auf grauen Wartezimmerstühlen. Einzelne oder Gruppen sprechen ihre Bewerbungsschreiben in den Raum: „Neben meiner außerordentlich guten Qualifikation, die gesamte Büro-EDV ist mir geläufig, kann ich sehr gut Kaffee kochen.“

Lauter Verlierer, Schwervermittelbare, vom Arbeitsmarkt Ausgespuckte, die um ein bisschen Würde kämpfen und längst ahnen, dass sie keine Chance haben. Was sie nicht zu besseren oder auch nur solidarischen Menschen macht. Ein Alter mit Glatze und eingezogenem Genick hat sich einen besonders schönen Berufswunsch ausgedacht. Er würde seinem neuen Arbeitgeber gerne dabei behilflich sein, bei anstehenden Entlassungen vorzusortieren, „damit die Entlassungen auch an die richtigen Personen kommen, die nicht gut motiviert sind oder die durch Probleme gehindert werden, ihre volle Arbeitskraft zum Gedeihen und Blühen des Konzerns mitzubringen“.

Es sind die Chöre und die Doku-Texte, die den Abend halbwegs tragen. Ästhetisch kommt er über robustes Gebrauchstheater kaum hinaus. Die Bewegungsmuster des Chores: kunstgewerblich auf den puren Effekt getrimmt – Schleef für ganz Arme. Die Bilder, die Lösch findet, sind banal. Die Erstürmung der Industriellenvilla übersetzt er in das Demolieren eines golden lackierten Mittelklassewagens. Niedlich. Um Hauptmanns Stück umstandslos mit heutigen Stimmungen kurzschließen zu können, reduziert es Lösch auf die Klage, die Armuts- und Demütigungsmotive einerseits, die Wutausbrüche andererseits. Der Kern der Fabel ist ihm zu kompliziert: Bei Hauptmann verlieren die Weber ihr Einkommen, weil eine neue Erfindung, der mechanische Webstuhl, ihre stupide Arbeit überflüssig macht. Indem Lösch das streicht, macht er aus einer gesellschaftlichen Entwicklung ein undurchschaubar verhängnisvolles Schicksal – Kapitalismuskritik für Dummköpfe. PETER LAUDENBACH