: Ein Ehering in den Wellen
Frau Süssmilch und Herr Bogenbauer haben Probleme mit der Zeit: Rudolf Thomes neuer Film „Frau fährt, Mann schläft“ ist der Mittelteil einer Trilogie über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
VON ANNE KRAUME
Barbara Bärenklau war Architektin. Sue Süssmilch ist Zahnärztin. Beide leben mit ihren Familien in Berlin, sind gut situiert und scheinbar glücklich – und doch haben beide Probleme, die unmittelbar mit der Zeit zusammenhängen: Bei der einen, bei Barbara Bärenklau, dringt die Vergangenheit unvermittelt in die Gegenwart ein und zwingt sie dazu, sich mit ihr auseinander zu setzen; bei der anderen, bei Sue Süssmilch, gründen die Schwierigkeiten eher in der Gegenwart selbst, die plötzlich nicht mehr so reibungslos funktionieren will, wie sie das bisher getan hat. Der Mann von Sue Süssmilch, Anton Bogenbauer, ist Philosophieprofessor, und er macht sich von Berufs wegen Gedanken über die Zeit und über die Erkenntnis, dass der Mensch in der Zeit und eben nur in der Zeit ist. Dennoch ist es zuletzt seine Frau, die mit den gegenwärtigen Schwierigkeiten besser umzugehen weiß – der Philosophieprofessor scheitert an der konkreten Umsetzung seiner Erkenntnisse.
Sue Süssmilch ist die Protagonistin in Rudolf Thomes neuem Film „Frau fährt, Mann schläft“ – Barbara Bärenklau war diejenige aus seinem letzten Film „Rot und Blau“ (2003). Die Verbindung zwischen beiden Filmen wird nicht nur über die Hauptdarstellerin Hannelore Elsner hergestellt, die sowohl die Architektin als auch die Zahnärztin verkörpert, sondern vor allem durch das gemeinsame Thema: Beide Filme sind Teile einer Trilogie mit dem Titel „Zeitreisen“, deren letzter Teil, „Rauchzeichen“, noch aussteht. „Rot und Blau“ handelte von der Vergangenheit, „Rauchzeichen“ wird sich um die Zukunft drehen. „Frau fährt, Mann schläft“ hat als Mittelstück zwischen den beiden anderen Filmen die Gegenwart zum Thema.
Das macht diesen Film insofern bedeutsam, als Rudolf Thome der Gegenwart in seinen Filmen immer schon ein besonderes Gewicht beigemessen hat: Auch diejenigen Thome-Filme, in denen die Vergangenheit in den Vordergrund drängte, waren immer aus der Gegenwart heraus erzählt und ohne Rückblenden gedreht – das gilt für die Vergangenheitsgeschichte „Rot und Blau“ ebenso wie für den Film „Paradiso“ (1999), in dem ein Komponist verschiedene Frauen aus seinen verschiedenen Lebensperioden zur gleichen Zeit wiedertrifft. Wenn „Frau fährt, Mann schläft“ diese Gegenwart nun ganz explizit zum Thema macht, dann heißt das nicht, dass die Protagonisten keine Vergangenheit hätten. Es heißt aber wohl, dass die Gegenwart zum Ausgangspunkt der Geschichte wird und dass der Film aus dieser Konstruktion heraus seine Wirkung entfaltet.
In einer Talkshow stellt die jüngste Tochter von Sue Süssmilch und Anton Bogenbauer (Karl Kranzkowski) ihre Eltern und Geschwister als beispielhaft glückliche Familie vor. Und tatsächlich – beide Eltern gehen in ihren Berufen auf, lassen ihren vier Kindern die Freiheit, die sie brauchen, und sind trotzdem immer für sie da. Dass dieses scheinbar erfolgreiche Modell des Zusammenlebens dennoch auf einer Lebenslüge basiert und dass es schwerwiegende Verschiebungen erleben wird, das kündigt sich mit dem Umzug der Familie in eine neue Wohnung an. Mit der Veränderung der Räume scheint auch eine Veränderung der Rollen innerhalb der Familie einherzugehen. Antons aktuelle Geliebte erwartet ein Kind von ihm, Sue hat sich ernsthaft in einen anderen Mann verliebt, obwohl sie Anton bisher trotz seiner Affären treu geblieben war. Und die Kinder fangen an, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Als der älteste Sohn dann krank wird und sehr plötzlich stirbt, wird seiner Mutter bewusst, dass sie sich entscheiden muss, ob ihr Leben mit Anton weitergehen soll oder ohne ihn. Am Schluss ist klar, dass die Gegenwart nichts Bedrohliches mehr für sie haben kann, nachdem sie ihre Entscheidung einmal getroffen hat.
„Frau fährt, Mann schläft“ heißt dieser Film, und das bezieht sich nicht nur auf die eine Szene, in der Sue und Anton unterwegs nach Sardinien sind, um dort zu einem Entschluss zu kommen: Sicher, es ist sie, die den Wagen der Sonne entgegensteuert, während er neben ihr wie bewusstlos schläft. Aber der Titel weist über diese Szene hinaus: Wie so oft bei Rudolf Thome ist die Protagonistin eine starke und souveräne Frau, die eben nicht nur im Auto das Steuer in der Hand hält. Fahren bedeutet in diesem Zusammenhang, die Richtung vorzugeben, während Schlafen genau das Gegenteil suggeriert.
Dass diese Konstruktion sehr schematisch ist, das tut dem Film in seinen guten Momenten keinen Abbruch – etwa in der Szene, in der Sue am Grab ihres Sohnes einen Nervenzusammenbruch erleidet und genau dadurch stärker ist als alle anderen. In den weniger guten Augenblicken aber lässt die Konstruiertheit den Film etwas plakativ und eindimensional erscheinen, und dann vermag auch Hannelore Elsner nicht darüber hinwegzuhelfen, dass Sue Süssmilch am Ende ihren Ehering ins Meer wirft, und noch weniger darüber, dass man schon minutenlang vorher gewusst hat, dass sie genau das tun würde.