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Archiv-Artikel

Gott liebt die Popstars

Was hat die Bibel im Gorki Theater zu suchen? Was ist schick am Thema Glauben? Bibel-Soap, Bibel-Corner: Innen- und Außenansichten über ein Thema, das den Kirchen zu entlaufen droht

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Es geht um Aufmerksamkeit. Es geht um Eifersucht. Es geht um Eitelkeit. Das war im ersten Teil der Bibel-Soap, wie sie jetzt in mehreren Folgen im Studio des Gorki Theaters läuft, schon klar, noch bevor in den so exzessiv mit den Gefühlen des Publikums spielenden Schauspielern die Figuren von Kain und Abel erkennbar wurden. Christian Sengewald, der die Positionen des Bösen besetzt, hatte uns beschimpft, mit schrillen Schreien „Sympathy for the devil“ gequält und damit jene Ablehnung erzeugt, die Gott Kains Opfer angedeihen ließ, als er es nicht annahm. Bettina Hoppe dagegen, zuständig für das Gute, warb erfolgreich um unsere Liebe, wenn auch lustigerweise mit der Parodie eines Grönemeyer-Songs. Unvermutet sah sich das Publikum an der Stelle der Instanz Gott. Gott oder die öffentliche Aufmerksamkeit, wie sie der Auftritt im Theater oder im TV sichern, sie verschwammen in diesem Bibelprojekt des Gorki Theaters nicht nur Teil I, „Die Schöpfung“.

Damit wird vielleicht schon ein erstes Motiv greifbar, warum sich Theater mit dem Thema Glauben auseinander setzen. Etwas ist freigesetzt worden, seit die Kirchen immer leerer werden, eine suchende, flirrende Energie, die hier und da andockt. Andere Motive listen die Kammerspiele München, die ihre Spielzeit mit den Zehn Geboten überschrieben haben, in einem Fragenkatalog auf: „Was hat unsere Gesellschaft fanatisierten Glaubenskriegern entgegenzusetzen? Genügen Toleranz und Multikulturalismus? Gewinnen wir nicht zunehmend den Eindruck, dass durch den Verlust aller Utopien und ideologischer Sinnstiftungsangebote die Suche nach metaphysischen Werten wieder wächst?“

Ob die Kammerspiele in München, die Volksbühne und das Gorki Theater in Berlin: Es sind die engagierten Theater, die thematisch und in der Form viel riskieren, die das Thema Glauben aufnehmen. Der Vorgang hat etwas Therapeutisches: das Ohr für die Gesellschaft öffnen und ihr Rumoren verstärken, bis sich aus der Polyphonie eine bisher unbewusste Melodie herausschält. Es steckt Neugierde dahinter, was treibt die Menschen eigentlich um?

Aber es ist nie nur ein Motiv, das Stichworte, die bisher theologisch oder religiös konnotiert waren, auf die Bühne bringt. Etwas Schickes und Kultiges haftet der Bewegung auch an: Wir scheuen uns nicht in ein Gebiet zu gucken, das für den traditionell aufgeklärten Linken jenseits von Gut und Böse lag.

Für Bruno Cathomas, Schauspieler, Regisseur und Initiator der Bibelaufführung in fünf Folgen, war allerdings weder dieser Gestus noch etwa die Sinnsuche das Motiv für die Stoffwahl. Er suchte nach einem Stoff, um mit Schauspielern in Improvisationen Erzählformen auszuarbeiten. In der Bibel fand er alles – Liebe, Mord, Gesetz –, von dem zu erzählen sich lohnt.

So werden die Folgen, die in öffentlichen Proben erarbeitet werden, immer komplexer. Denn die Bibel beinhaltet auch Vorlagen, um sich vom naiven und einfachen Ton zu immer weiter entwickelten Stufen des Denkens vorzuarbeiten. Der Erzählfaden führt vom Individuum zur Staatengründung, von Gefühlen zur Ideologie.

Teil III, „Helden“, der gestern Premiere hatte, ist denn auch schon ausgesprochen politisch geprägt. Es treten die Könige Saul, Salomon und David auf und der Ton, in dem sie ihre Haltung rechtfertigen, findet eine Fortsetzung in kurzen Reden der Agitation, aus der Zeit der Gründung des Staates Israel und von George W. Bush. Wie Glauben in der Politik instrumentalisiert wird, daran lässt die Inszenierung keinen Zweifel.

Ein Abend jeder Woche gehört in dem umfangreichen Begleitprogramm der Bibel-Corner: Dann kann die Bühne mieten, wer will, für 10 Euro für 10 Minuten. Interessanten kamen bisher immer und oft war es ein großer Bekenntnisdrang, für den sie sich die Aufmerksamkeit des Publikums erkauften. Pastoren und Laien erzählen von ihren Erweckungserlebnissen, Jugendliche rappen hingebungsvoll die Geschichte von Moses, aber auch kritische Theologen versuchen hier ein ernsthaftes Wort gegen die Drangsalierung des Menschen mit christlichen Moralgeboten einzulegen.

Der Inhalt ist das eine, was an diesem Theaterort verblüfft, das schnelle Umschalten auf eine Innenansicht des Glaubens, vor der man sonst außerhalb kirchlicher Mauern ziemlich sicher war. Die rhetorische Form ist das Zweite, was verblüfft. Profis und Laien treffen den gleichen Ton, legen emphatisch Zeugnis ab. Das fährt dem Außenstehenden so unvermutet unter die Haut wie das Ausbreiten von Intimitäten vor der Kamera, ein Überspringen der Distanz, ein Eifer, der, um nicht als peinlich empfunden werden, wieder zurechtgerückt werden muss als ein Objekt eher ethnologischen oder sozialen Wissensdrangs.