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Archiv-Artikel

Syphilis durch Sorglosigkeit

Berlin belegt Platz 1 in der Syphilis-Statistik. Auch andere Geschlechtskrankheiten nehmen wieder zu. Mediziner sind besorgt. Die Ursache sehen sie in einem neuen Trend zum ungeschützten Verkehr

VON MARTINA JANNING

„Unten ohne“ war lange out. Aus Angst vor Aids streiften viele ein Kondom über. Das hatte einen weiteren positiven Effekt: Die Zahl der Geschlechtskrankheiten ging zurück. Doch nun scheint eine neue Sorglosigkeit um sich zu greifen. Experten hierzulande warnen: Die Zahl der Menschen, die sich neu mit HIV infizieren, steigt wieder. Und nicht nur HIV, auch andere sexuell übertragbare Krankheiten mehren sich.

„Seit 2001 haben die Syphilis-Erkrankungen kontinuierlich zugenommen“, sagt Dr. Ulrich Marcus vom Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin. Vor allem homosexuelle Männer infizierten sich. „Das lässt auf Verhaltensänderungen schließen“, folgert Marcus. Der neue Trend zum ungeschützten Verkehr besorgt Mediziner besonders, weil sich Syphilis und Aids gegenseitig verstärken: Ist jemand aidskrank und steckt sich zusätzlich mit Syphilis an, kann die HIV-Infektionsgefahr für Sexualpartner um das Zehnfache steigen. Andererseits haben Syphiliskranke ein erhöhtes Risiko, sich mit HIV zu infizieren. Und: Beide Krankheiten zusammen verlaufen schlimmer, die Erfolgsaussichten einer Therapie sinken.

Hohe Infektionsraten verzeichnet das RKI vor allem in Großstädten. Auf Platz 1: Berlin mit gut 18 Erkrankungen pro 100.000 Einwohnern. Aber auch in Brandenburg verbreitet sich Syphilis immer stärker. 2003 diagnostizierten Ärzte die Erkrankung dort bei 53 Patienten. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme von rund 38 Prozent. Bundesweit wurden im vergangenen Jahr 2.932 Syphilis-Infektionen gemeldet – 20 Prozent mehr als 2002. Doch die Dunkelziffer ist hoch. Nach Schätzungen des RKI liegt sie zwischen 30 und 40 Prozent. Denn häufig wird eine Syphilis gar nicht erkannt. Gerade junge Ärzte wissen nicht mehr, wie das Krankheitsbild aussieht. Zudem ist die Syphilis sehr wandlungsfähig – ihre vier Stadien ziehen sich über etliche Jahre hin.

Bläschen, Pusteln und Geschwüre an den Geschlechtsorganen, im Analbereich oder in der Mundschleimhaut sind typisch für Geschlechtskrankheiten – wenn sich Symptome zeigen. Denn viele Infektionen verlaufen ohne Krankheitszeichen. Das macht sie so gefährlich. Nicht nur, dass sie sich munter weiterverbreiten können, viele haben arge Spätfolgen. Eine Chlamydien-Infektion beispielsweise wie auch eine Gonorrhö (Tripper) können bei der Frau zu Unfruchtbarkeit führen; Papilloma-Viren werden auch für Gebärmutterhalskrebs, Penis- oder Analkarzinom verantwortlich gemacht.

So sieht die Rangliste der Geschlechtskrankheiten aus: Auf Platz 1 der Genitalherpes (Herpes simplex). Platz 2: die humanen Papilloma-Viren (lösen zum Beispiel Feigwarzen aus). Platz 3: Chlamydien-Infektionen. Erst weiter hinter folgten Gonorrhö und Syphilis, berichtet Marcus. „Rund 15 bis 20 Prozent der Erwachsenen haben das Herpes-Virus in sich“, schätzt er. Jugendliche hingegen steckten sich vor allem mit Chlamydien-Bakterien an. Eine Impfung gegen Geschlechtskrankheiten wie gegen Hepatitis B, die auch sexuell übertragen werden kann, gibt es bislang nicht. Dennoch lässt sich vorbeugen.

„Kondome sind ein guter Schutz vor Geschlechtskrankheiten“, sagt Marcus, „aber kein perfekter.“ Hundertprozentige Sicherheit gebe es nicht, „außer man entschließt sich, enthaltsam zu leben“. Eine Schwachstelle seien beispielsweise oral-genitale Sexpraktiken. „Dabei wird selten ein Kondom benutzt.“ Der Fachmann rät: Wer Beschwerden hat oder annimmt, sich mit einer Geschlechtskrankheit infiziert zu haben, sollte sofort zu einem Hautarzt oder einem Facharzt für Geschlechtskrankheiten gehen. Denn je früher eine Infektion bemerkt wird, desto besser lässt sie sich behandeln.

Die Broschüre „Safer Sex“ geht auch ausführlich auf Geschlechtskrankheiten ein. Sie kann bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung heruntergeladen werden unter www.bzga.de