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Archiv-Artikel

KIRSTEN FUCHS über KLEIDER Trümmerfrau 2003

Auf der verzweifelten Suche nach Gründen für die neue Sitte, die Hose über dem Rock zu tragen

Oft werde ich gefragt, warum Frauen neuerdings einen Rock über der Hose tragen. „Weil es andersrum nicht geht.“

Das ist die um Schlagfertigkeit bemühte Antwort, mit der sich einige Frager zufrieden geben, weil sie sowieso nur zum Ausdruck bringen wollten, dass sie dieses Mehrschichtensystem doof finden. Frauen wie Zwiebeln finden sie eben zum Heulen. Meine ältere Schwester schüttelt auch jedes Mal den Kopf. Sie sagte etwas von Nachkriegsmode. „Winter of ’45“-Style, es ist bitterkalt in der ausgebombten Wohnung und das Wenige, was man besitzt, zieht man eben übereinander, und wenn man dabei jegliche weibliche Form verliert, ist das nur gut, wenn der Russe kommt. So sehe ich also für meine Schwester aus, wie eine Trümmerfrau. Aber meine Schwester wohnt auch im Umland, da entscheidet man sich morgens entweder für einen Rock oder für eine Hose, denn das sagt meine Schwester immer, wenn ich vorbeikomme: „Konntest du dich nicht entscheiden?“

Aber dann hätte ich auch ein Hemd überm Pullover und eine Weste drüber und noch ein T-Shirt drauf. Nein, ich konnte mich nicht nicht entscheiden. Ich habe mich bewußt dafür entschieden. Ich sage „Ja!“ zum Rock über der Hose. Angefangen hat das bei den Tussis mit den Luftkissenschuhen, für die es in Tussiläden extra Hosen gab, bei denen das Röckchen schon dran war, aus demselben Stoff. Konnten die sich nicht entscheiden, oder was?

Die Röckchen waren ganz kurz und zum Abknöpfen, und schon nach einem kurzen Sommer wurden die kurzen Röcke abgeknöpftm, und es wurde darüber geschwiegen. So out war noch nie was. Ein neuer Sommer ging ins Land, sehr viel Wasser floss die Elbe hinab.

Und plötzlich, wie verabredet, wie von einem Untergrundmagazin organisiert, traten eines morgens junge, taffe Frauen aus den Hauseingängen der Großstädte und trugen Rock über Hose. Die Röcke waren etwas länger, gemustert, von der Hose unabhängig, mit Rüschen und auf einmal toll.

Die erste Antwort auf die Frage nach dem Warum ist demnach, dass andere es auch machen, und ich habe es mir einfach abgekuckt. „Und wenn alle aus dem Fenster springen, springst du dann auch?“ – „Wenn es gerade in ist, klar!“ Ein anderer Vorteil ist tatsächlich, dass es einen warmen Arsch macht. Und: Wenn ich mal nur eine Hose anhabe, fehlt immer irgendwie was. Ach, ja ein Oberteil! Aber dann fehlt immernoch was …

Und wenn ich nur einen Rock anziehe, kucken unten so dünne Beine raus. Kommt vor, dass ich dann trotzdem außer Haus gehe und dann den ganzen Tag was zum Rumzuppeln habe. Wenn ich z. B. eine Umhängetasche mit mir führe, dann bewegt diese sich minimal mit, wenn ich mich selbst bewege, und arbeitet beständig daran, dass der Rock ein Stück höher rutscht. Mit einer Hose darunter ist es egal, wenn der Rock am Bahnhof nur noch eine Bauchbinde ist.

Und dann stehe ich auch noch auf einem Luftschacht, und ein Wind wirbelt durch die Anlagen der unterirdischen Schachtsysteme. Marilyn Monroe hätte sicher in diesem peinlichen Moment auch lieber eine Hose unter dem Kleid angehabt … Sie wäre dann nicht so berühmt geworden. Aber sie hätte auch nicht dieses berühmte Foto überall signieren müssen, wo sie bis kurz unter die Blinddarmnarbe freigepustet ist.

Ich gebe zu, ich suche nach Scheinargumenten. Marilyn Monroes Beine sind eine feine Sache, und gegen Hosen ohne Röcke spricht auch nichts. Viva la Hose, ganz klar! Und Rock rules, logo! Beides zusammen ist aber auch okay.

Diese „Kleidchen über Hose“-Kombi gibt es eben. Ich wollte schon immer mal die Bild-Zeitung zitieren, die letzte Woche schrieb, dass „4‚Kleidchen über Hose‘-Kombi out ist“. Warum ich also Rock über Hose trage? Weil ich die Bild doof finde.

Fotohinweis: KIRSTEN FUCHS KLEIDER Fragen zu KLEIDERN? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSALE