: Träume von der Ferne
Eine CD erforscht Lieder der Edelweißpiraten, die oft auch von den Nazis okkupiert wurden, und vertont sie neu
In Köln gab es während der Nazizeit viele Jugendgruppen, die sich dem Drill der HJ verweigerten. Sie trafen sich am Abend im Volksgarten oder dem heutigen Friedenspark. Am Wochenende ging es oft in informeller Montur und mit Gitarre und Mundharmonika in den Königsforst oder zum Felsensee im Siebengebirge. Es wurde gewandert, musiziert und gesungen. Ein Hauch von Freiheit und Widerspenstigkeit in trübsten Zeiten.
Das EL-DE-Haus widmete den „Edelweißpiraten und Navajos“ zuletzt eine Ausstellung, die wegen der großen Nachfrage ab 17. November erneut zu sehen sein wird. Jean Jülich, einer der prominentesten überlebenden Edelweißpiraten, veröffentlichte im Vorjahr seine Biografie. Zeit also, sich näher mit den Liedern der Jugendlichen zu beschäftigen.
17 Stücke liegen jetzt unter dem wunderbar verwirrenden Titel „Es war in Schanghai“ auf CD vor – bearbeitet, neu eingespielt und herausgegeben von Jan Ü. Krauthäuser, Rainer G. Ott und Martin Rüther, dem Macher der Ausstellung. Außerdem gibt es eine DVD und ein Buch.
Die Quellenarbeit war schwierig: Schriftliche Zeugnisse wie Liederbücher sind kaum erhalten, die meisten Texte existieren lediglich in der Erinnerung der Beteiligten. Ein festes Repertoire an Songs gab es bei Edelweißpiraten und Navajos nicht.
Aus einem schier unerschöpflichen Fundus an Liedern, die wiederum in zahllosen Versionen existierten, wurden für »Es war in Schanghai« 17 Stücke ausgewählt. Nahe liegend wäre nun natürlich gewesen, bewährte Traditionalisten mit der Neubearbeitung zu beauftragen. Und schrecklich langweilig zudem.
Die Herausgeber luden bewusst weniger bekannte Kölner Musiker zur Neueinspielung der Lieder ein. So zählen jetzt La Papa Verde, Werle & Stankowski, Oneijuru, Tanja i Towarischi, Tonshmide, Microphone Mafia feat. Shana, Konterbande, Harald „Sack“ Ziegler, Bam Bam Babylon Bajasch, Sedlmeir und Der Läufer zu den Interpreten.
Eine Modernisierung, die bei ehemaligen Edelweißpiraten zunächst auf Skepsis stieß: Ihre Stücke könne man nicht verjazzen, so die erste Reaktion von Jülich. Doch dann ließ es sich der beliebte Kneipier und Karnevalist nicht nehmen, die Kompilation persönlich mit seiner herzzerreißenden Version von »Es war in Schanghai« zu eröffnen. Auch beim Abschlusslied ist er zu hören, und bei „En der Blech“ singt Getrud „Mucki“ Koch mit, eine der wenigen Frauen, die sich nach 1945 zu ihrer Mitgliedschaft bei den Edelweißpiraten bekannt hat.
Viele der Lieder handeln von fernen Ländern und Spelunken, in denen man beisammen sitzt und an die ferne Heimat denkt oder auch die bevorstehende Reise. Eine Form deutscher Romantik. Auch liedhistorisch ist die Auswahl interessant: »Hohe Tannen«, von Harald »Sack« Ziegler eindringlich mit Waldhorn untermalt, gilt als eine der Hymnen der Edelweißpiraten. Das Lied wurde kurzzeitig von der HJ adaptiert, ehe es, mittlerweile verboten, in modifizierter Version an vielen regimekritischen Lagerfeuern zu hören war.
„Wilde Gesellen“, wahrscheinlich 1921 entstanden und jetzt neu interpretiert vom „Menschensinfonieorchester“, fand zunächst ebenfalls Aufnahme in das Repertoire der HJ, eine Zeile wurde sogar titelgebend für deren Sangesbuch »Uns geht die Sonne nicht unter«, ehe es sich – längst aus HJ-Liederbüchern getilgt – zu einem widerständischen Lied wandelte.
Auch einen veritablen Dancefloor-Hit gibt es zu hören: »In Junkers Kneipe« von Rapper und DJ Mr. Carl sollte bald Einzug halten in die Sets der kölschen Sound-Systems. Im Friedenspark und anderswo.Christian Meier-Oehlke
Konzert „Es war in Schanghai“: 27.11., 21 Uhr, Bürgerhaus Stollwerck Köln, Dreikönigenstr. 23