Koschnick will „Tacheles“ reden

Bremens Alt-Bürgermeister Hans Koschnick wirft die Frage auf, ob die Bevölkerung noch zur Selbstständigkeit des Landes steht, wenn es den Bremern schlechter geht als den Menschen in Hannover: „Es ist an der Zeit, dass wir die Wahrheit sagen“

bremen taz ■ „Ich denke, es ist Zeit, dass wir die Wahrheit sagen.“ Das erklärte Bremens Alt-Bürgermeister Hans Koschnick. Seine Wahrheit: Bremen muss sich darauf einstellen, dass es keine Fortsetzung der Sanierungshilfen über den „Kanzlerbrief“ gibt. „Ich denke, es ist höchste Zeit, dass hier mal Tacheles geredet wird, dass Wahrheiten ausgesprochen werden. Damit nicht die Augen zugemacht werden bis fünf Minuten vor Feierabend.“

Wenn nun aber in den kommenden Jahren die Kommune Bremen ihren Bürgern weniger bieten kann als etwa Hannover, werde die Frage anstehen, ob die Bremer Bürger dann noch zur Selbstständigkeit Bremens stehen. Koschnick im Nordwest-Radio wörtlich: „Dann entsteht die Frage: Hält die Bindung, das Traditionsbewusstsein der Bremer? Ist dann die Selbstständigkeit Bremens noch die Frage, die einen Großteil der Bürger bewegt? Oder sagen sie: Dann wollen wir eben leben wie in Hannover. Fairerweise muss man sagen: Die Finanzlage Hannovers ist schon jetzt deutlich besser als die von Bremen.“

„Ich bin für Bremen“, bekannte Koschnick, aber die Aufrechterhaltung der Selbstständigkeit könne „in einem ganz erheblichen Umfang Einschnitte bei Dienstleistungen“ bedeuten, „viele Dinge, die die Bürger gefordert haben und die das Parlament aufgenommen hat, werden dann nicht mehr zu erfüllen sein, mit der Folge, dass die kommunalen Leistungen in Bremerhaven und Bremen schlechter sein werden als in anderen Großstädten.“ Koschnick weiter: „Dann hören die alten Traditionsbegründungen auf: Wir sind stolz und Bremen bleibt.“ Und da ist Koschnick ganz entschieden gegen die Schönrederei: „Natürlich sagen die meisten: Nur keine Wellen schlagen, mal sehen, die weit wir kommen.“

Das ist gegen das Bremer Rathaus gerichtet, das die Verhandlungen um den Kanzlerbrief zur Chefsache gemacht hat – und nun offenbar andere vorschickt, die Botschaft vom Scheitern der Verhandlungen schrittweise durchsickern zu lassen.

Für die Erhaltung der bremischen Selbstständigkeit formuliert Koschnick als klare Bedingung: „Wir brauchen eine andere Finanzverteilung.“ Das fordert Bremen allerdings schon seit Jahren. Koschnick rechnet damit, dass ein neuer Prozess vor dem Verfassungsgericht erforderlich wird. Da hatte Koschnick-Nachfolger Klaus Wedemeier Bremen die Sanierungshilfe erstritten. Allerdings hat sich der Präsident des Bundeverfassungsgerichts in der letzten Zeit mehrfach für eine Neugliederung der Bundesländer ausgesprochen.

Klaus Wolschner