: Monster mit glänzenden Augen
Wohin mit kleinen Serientätern? Besuch in einem Hort für gemeingefährliche Kinder
Der kleine Peter B. schiebt den leeren Teller von sich. Seine Augen glänzen. Aber es ist ein ungesunder, fiebriger Glanz, der den Blick des Jungen verschleiert.
Peter ist heute fünf Jahre alt geworden, deshalb durfte er eine Extraportion Ravioli essen. Er ist Insasse des Pforzheimer Kindergartens „Der fröhliche Hase“ und hat sich zu einem Gespräch mit uns bereit erklärt. Unter den aufmerksamen Blicken der Wärterin „Tante Brigitte“, wie die korpulente Frau von den Kindern angeredet werden will, beginnt Peter zu erzählen: „Ich ertrage es, weil ich weiß, dass ich nur noch ein Jahr abzusitzen habe, das macht alles viel leichter. Als ich vor zwei Jahren zum ersten Mal hierher gebracht wurde, dachte ich, ich würde das niemals überstehen. Aber ich weiß auch, dass ich zu Recht hier sitze, dass ich es verdient habe.“
Dabei lächelt Peter schwach, und man ist fast geneigt, Mitleid mit ihm zu bekommen. Zusammen mit 19 Schicksalsgenossen muss Peter im eingezäunten „Lustigen Hasen“ tagtäglich vom frühen Morgen bis zum Nachmittag Bauklötze aufeinander stapeln, Gerüste beklettern, Sandburgen bauen, Lieder singen und mit Stofftieren spielen. „Am schlimmsten ist es im Herbst“, sagt Peter, und seine Stimme klingt gebrochen. „Dann jagen sie uns hinaus, und wir müssen mit bloßen Händen Laub aufsammeln, in Bücher pressen und auf Papier kleben.“
Wir schauen uns im „Lustigen Hasen“ um. An den bunten Wänden hängen Dutzende DIN-A4-Blätter mit aufgeklebtem Herbstlaub, Zeichnungen von Blumen und Bäumen, gebastelte Hampelmänner und ausgemalte Malbuchseiten – Dokumente der Trostlosigkeit, die über diesen Räumen liegt. Wieder weht uns der Hauch von Mitleid mit diesem blassen, kleinen Knaben an.
Doch dann denken wir an seine Opfer, und uns wird schnell wieder klar, dass wir es hier nicht mit einem harmlosen Kind zu tun haben. Das seidenweiche blonde Haar und die großen, traurigen Augen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Peter ein Verbrecher ist, ein Monster, dessen Gräueltaten einem das Blut in den Adern gefrieren lassen.
Da gibt es etwa die freundliche Hauseigentümerin Lotte S., in deren Haus Peters Familie wohnt. Seit Peter vor eineinhalb Jahren den Hausflur des schönen Altbaus mit Filzstiften verschandelt hat, ist Lotte S. am Ende, eine Frau, die zurückgezogen lebt und unter Depressionen leidet.
Auch das Leben des Druckerei-Angestellten Werner D. wird nie wieder so sein wie vorher. Peter hatte mit unfassbarer Brutalität und Gefühllosigkeit die Radioantenne von D.s Toyota Corolla in einen rechten Winkel geknickt.
Peter ist ein Serientäter, der vor nichts zurückschreckt. „Es ist wie ein innerer Drang“, versucht er, uns die dunkle Seite seiner Seele zu erklären. „Wenn ich einen Hund sehe, dann muss ich ihn am Schwanz ziehen, Häuserwände muss ich einfach bemalen – da setzt was bei mir aus, als würde mich ein schwarzes Wesen beherrschen.“
Aber Peter scheint therapierbar zu sein. Von „Tante Brigitte“ erfahren wir, dass sich Peters Untaten im „Lustigen Hasen“ seit einiger Zeit in Grenzen halten: „Am Anfang hat er noch jeden Tag die Bauklotztürme seiner Mitinsassen umgeworfen, das kommt nun nur noch selten vor.“
Über die Zeit nach dem „Lustigen Hasen“ denkt Peter jetzt noch nicht nach. Die Zukunft macht ihm Angst, denn er fürchtet, seinem dunklen Drang dann wieder hilflos ausgeliefert zu sein. „Wenn ich draußen wieder unbeaufsichtigt herumlaufen kann …“ – seine Stimme ist jetzt nur noch ein bebendes Flüstern – „… und wenn ich dann eine Hauswand oder eine Autoantenne sehe, dann weiß ich nicht, was passiert …“ CORINNA STEGEMANN