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Archiv-Artikel

„Es droht eine kleine studentische Völkerwanderung“

Der Bildungsminister von Rheinland-Pfalz, Jürgen Zöllner (SPD), warnt vor einer Aufhebung des Gebührenverbots. In jedem Fall müsse es weiter eine nationale Lösung geben

taz: Herr Zöllner, Sie sind der Leitwolf der SPD-regierten Bundesländer für die Hochschulpolitik. Warum haben Sie gestern Ihre Parteifreundin, die Bundesbildungsministerin Bulmahn, in Karlsruhe vor den Verfassungsrichtern so allein gelassen?

Jürgen Zöllner: Meine physische Anwesenheit war nicht notwendig. Ich unterstütze Frau Bulmahns Politik gegen Studiengebühren. Und sie gehört umgekehrt zu den bekennenden Anhängerinnen unserer rheinland-pfälzischen Studienkonten.

Braucht Deutschland Studiengebühren?

Nein, überhaupt nicht. Sie nutzen wenig und schaden viel. Studiengebühren würden die Kinder der Arbeiterschaft und selbst des Mittelstands vom Studium abschrecken. Eine Wissensnation wie die Bundesrepublik kann es sich aber nicht leisten, schlaue Kinder aus sozialen Gründen von den Unis auszuschließen. Wir SPD-regierte Länder gehen daher einen anderen Weg: Wir erheben keine Strafsteuer aufs Studium, sondern spornen Studierende wie Hochschulen über Studienkonten zum zielgerichteten Studieren an.

Verraten Sie uns bitte: Wie wird die deutsche Gebührenlandschaft nach dem Verfassungsgerichtsurteil aussehen?

Noch ist ja nichts entschieden. Und ich baue weiter darauf, dass das Gebührenverbot Bestand hat.

Und wenn nicht?

Dann ist die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse für Studierende schon bald nicht mehr gegeben. Unsere Nachbarländer wie Saarland oder Baden-Württemberg etwa sind wild entschlossen, Studiengebühren einzuführen. Das ist ein bisschen wie Mittelalter.

Warum?

Weil dann jedes deutsche Fürstentum eine eigene Akademikerabgabe einführen könnte. Es steht zu befürchten, dass sich so etwas wie kleine studentische Völkerwanderungen auf den Weg machen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das gebührenfreie Rheinland-Pfalz ein Plus von 30 Prozent Studierenden ausbilden müsste.

Stört Sie das?

Es tut mit leid um die wissenshungrigen jungen Leute. Denn wir könnten uns das einfach nicht leisten. Wir hätten geradezu die Pflicht zur Notwehr. Es geht nicht, dass einige wenige Länder eine gesamtstaatliche Aufgabe auf hohem Niveau allein oder zum Großteil schultern müssen.

Wollen Sie dann selber Strafzölle für Studenten anderer Bundesländer erheben?

Nein, das sollten wir vermeiden, denn das Mittelalter ist ja vorbei. Ich würde gerne den Geist von Meiningen wiederbeleben …

in Meiningen hatten sich im Jahr 2000 alle Kultusminister, von CDU wie von SPD, über Studiengebühren geeinigt.

Nur ein Meiningen II kann verhindern, dass wir in Deutschland eine völlig irrationale Studentenpolitik treiben. Wir brauchen ein Abkommen, das ein Nebeneinander von Studienkonten und Studiengebühren für alle Länder möglich macht.

Wie kann so etwas denn aussehen?

Das werden die Kultusminister schon herausfinden. Falls den Bundesländern die Gebührenregelung zufällt, haben wir die Verpflichtung zu einer nationalen Lösung. Wir brauchen faire Spielregeln, die dem ganzen Land und seinem Bedarf an Akademikern nutzen. Wir in Rheinland-Pfalz jedenfalls werden die Zeche nicht alleine bezahlen. INTERVIEW: CHRISTIAN FÜLLER