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Archiv-Artikel

Misstrauensbildende Maßnahme

AUS AMSTERDAM ULRIKE HERRMANN

Am Tatort erinnert nichts mehr an Theo van Gogh und seine Ermordung am Dienstag vor einer Woche, als er von einem Islamisten erschossen wurde. Die Blumen, Briefe und Plakate, die des Filmemachers gedachten, sind abgeräumt. Jetzt parken Autos auf dem Seitenstreifen, die Linnaeusstraat in Amsterdam ist wieder zu einer unauffälligen Durchgangsstraße geworden.

Doch während die sichtbaren Zeichen der Tat verschwinden, nehmen die Spannungen in den Niederlanden zu. Inzwischen hat die Polizei fünfzehn Anschläge auf Moscheen, Kirchen und Schulen gezählt. Bei den meisten entstand eher geringer Sachschaden – nicht so in Uden in Brabant. Dort brannte am Dienstagabend eine muslimische Grundschule völlig ab. Damit es zu keinen Missverständnissen kommt, haben die Brandstifter Sprüche an den Wänden hinterlassen: „Theo, ruhe sanft“, „Kutmarokkanen“ (Scheißmarokkaner) und „white power“.

Man könnte meinen, dass dieser Anschlag die niederländische Gesellschaft eher versöhnt als spaltet – weil erneut deutlich wird, dass es Extremisten nicht nur unter den Muslimen, sondern auch in der einheimischen Bevölkerung gibt. Doch viele Niederländer erwarten eher eine Eskalation des Konflikts zwischen den Bevölkerungsgruppen. „Aus so einer blöden Tat kann etwas ganz Großes entstehen“, sagt etwa die Dokumentarfilmerin Britta Hosman. „Man müsste jetzt vernünftig bleiben, nur wie viele Menschen sind das?“

Sie weiß nicht, wie Verständigung mit den Muslimen noch gelingen soll. „Ich bin 37, in meiner Jugend habe ich lange Haare getragen, bin barfuß gegangen, hatte kurze Röcke an, ging nackt an den Strand. Und in der gleichen Zeit sind Frauen meines Alters hier herangewachsen, die jetzt ein Kopftuch tragen.“ Am liebsten würde die Mutter von zwei kleinen Kindern nach Berlin auswandern. Und sie kennt viele Freunde, die das Land nur zu gern verlassen würden. „Die Niederlande sind so klein, man sitzt hier aufeinander.“ Sie schweigt kurz. „Ich möchte so gern, dass wir alle zusammenleben. Aber wir sind so verschieden, wie können wir überhaupt noch zusammenkommen?“ Sie empfiehlt zwei Texte im NRC Handelsblad. „Ich finde es ja gut, dass so etwas gedruckt wird.“ Aber die beiden Artikel machen sie ratlos.

Denn sie weisen der niederländischen Gesellschaft eine Mitschuld daran zu, dass sich junge Muslime radikalisieren. „Der Diskurs richtet sich seit einigen Jahren immer mehr auf Assimilation und immer weniger auf Integration“, beklagen der Jurist Sultan Gün und der Politologe Fadi Hirzalla. „Muslime fühlen sich verständlicherweise marginalisiert und kriminalisiert …, und es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Marginalisierung zu Radikalisierung führt.“ Gleichzeitig seien die offiziellen Repräsentanten der niederländischen Muslime zu nachgiebig: „Sie sind keine starken Wortführer, sondern Teddybären [der Regierung]. Diese Onkel Toms haben ihre Glaubwürdigkeit vor allem bei den jüngeren Muslimen weitgehend verspielt.“ Auch der Führer der arabisch-europäischen Liga in den Niederlanden, Nabil Marmouch, beklagt die „schlappe und abwartende Haltung“ der meisten Muslime.

Muslime warten ab

Solch ratlose Muslime saßen gestern in einem türkischen Kulturzentrum zusammen, gar nicht weit von der Linnaeusstraat. In dem Gebäude gibt es verschiedene Geschäfte, auch einen kleinen Friseursalon. Drei junge Männer drängen sich in dem Kabuff. Einer schneidet, einer wird geschnitten, einer wartet. Alles ist für sie eigentlich wie immer, bedroht fühlen sich sich nicht, auch nicht nach dem Mord an Theo van Gogh und dem Brandanschlag in Uden. „Aber manchmal sehen mich die Einheimischen schon so an, als ob ich der Täter wäre“, sagt der Wartende und zieht seine Baseballkappe tiefer. „Aber nicht alle Niederländer, verstehen Sie? Es sind wirklich nur einige.“ Und was soll nun passieren? Da sagt er genau das Wort, das die radikaleren muslimischen Wortführer so gar nicht leiden können: „Abwarten.“

In dem kleinen Kabuff läuft der Fernseher. Premier Balkenende ist zu sehen. Mit entschlossener Miene macht er eine „Atmosphäre der Verhärtung“ aus. Wenig später bricht er in Richtung Uden auf.

Terroreinsatz in Den Haag

Zwischendurch allerdings geriet Uden immer wieder in Vergessenheit, denn gleichzeitig spielte sich in Den Haag eine Art realer Fernsehkrimi ab. Es begann gestern Morgen um 2.45 Uhr, als eine Fahndungseinheit der Polizei versuchte, in ein Haus in der Innenstadt einzudringen. Doch die Bewohner hatten anscheinend eine Handgranate am Türgriff befestigt. Drei Polizisten wurden verletzt, zwei davon schwer. Danach war erst mal Pause. Große Teile der Innenstadt wurden abgesperrt, die Anwohner mussten in die Kantine einer nahe gelegenen Hochschule umziehen. Es hieß sogar, Panzer würden aufrollen.

Tatsächlich passierte lange nichts. Nur unter den Schaulustigen brach ein Streit zwischen Hooligans und marokkanischen Jungen aus – ein Fußballfan wurde festgenommen. Gerade als sich alle Fernsehzuschauer auf eine lange Nacht eingerichtet hatten, gab die Polizei um 17.15 Uhr bekannt: „Die Aktion ist vorbei.“ Zwei Verdächtige wurden abgeführt; Augenzeugen beschreiben sie als „jung und schlank“. Auch in der Region Utrecht wurde ein Verdächtiger verhaftet. Doch ansonsten gibt sich die Polizei schweigsam. Ob es sich um ein islamistisches Netzwerk handelt und ob der Einsatz mit dem Mord an Theo van Gogh zusammenhängt – kein Kommentar.