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Archiv-Artikel

Ein Tag Nähen für 1 Dollar 59

90 Prozent unserer Klamotten kommen aus Niedriglohnländern. Diejenigen, die sie nähen, kriegen ein Prozent des Verkaufspreises für ihre Arbeit

VON ANNETTE JENSEN

Kleiderwechsel heißt das Konsumprinzip. Zwölf Kilo Textilien kauft – statistisch gesehen – jeder/r Deutsche jährlich und gibt dafür 870 Euro aus. 90 Prozent der T-Shirts und Hosen werden von jungen Frauen in Asien, Lateinamerika und Osteuropa genäht. Mit der Kampagne „Mode, Macht und Frauenrechte“ wollen Terre des Femmes und andere Nichtregierungsorganisationen am heutigen Tag „Nein zu Gewalt an Frauen“ auf die Herstellungsbedingungen des bunten Outfits aufmerksam machen.

Die Berichte von Arbeiterinnen ähneln sich fatal – egal ob sie in einer Produktionshalle in El Salvador oder Bangladesch an Nähmaschinen sitzen. Eine 72-Stunden-Woche ist nicht ungewöhnlich; wenn ein Auftrag fertig werden muss, schuften die Frauen manchmal sogar bis zu 92 Stunden. Zunehmend schreiben die Textilkonzerne ihre Aufträge im Internet aus; der preiswerteste Anbieter bekommt den Zuschlag. So ist der Druck auf die Löhne enorm. Während etwa die Hälfte dessen, was die Kundin bezahlt, von den großen Ladenketten kassiert wird, erhalten die Näherinnen nur etwa ein Prozent des Verkaufspreises.

Zum Beispiel Marcelina Romero (Name geändert) aus Nicaragua. Sie arbeitet bei der taiwanesischen Firma Chentex, die in der Freihandelszone „Las Mercedes“ im Norden Managuas Jeans produziert. Morgens um Viertel vor sieben fängt sie an, und abends um vViertel nach sieben ist Schluss – sechs Tage die Woche. Nur während der halbstündigen Mittagspause darf sie etwas essen und trinken; in der Zwischenzeit hockt sie zusammen mit zwei Kolleginnen an einem Tisch und näht Taschennähte im Akkord. Unterhalten können sie sich dabei nicht. „Wer redet, kriegt Ärger mit der Vorarbeiterin. Die schreibt dann einen Tadel und gibt ihn an die chinesische Vorgesetzte weiter“, erzählt Marcelina. Umgerechnet 80 Dollar bringt sie am Monatsende mit nach Haus – kaum genug für sich und ihre vier Töchter, die tagsüber auf sich allein gestellt sind. Der Mindestlohn in einer nicaraguanischen Textilfrima beträgt 1,59 Dollaer pro Tag. Der offizielle monatliche Durchschnittslohn in Nicaragua liegt demgegenüber bei 200 Dollar. Seit Jahren ist Marcelinas Lohn nicht mehr gestiegen, obwohl die Preise in Nicaragua angezogen haben. Weil sie schon 31 Jahre alt ist und die Augen immer häufiger brennen, fürchtet Marcelina, demnächst gekündigt zu werden. Wie in allen Textilfabriken in Freihandelszonen der Dritten Welt sind auch in Nicaragua über 35-jährige eine Seltenheit; die starke und einseitige Belastung führt zu frühem körperlichem Verschleiß.

Wie es bei der Produktion zugeht, soll möglichst verschwiegen werden. Hohe Mauern sperren die Freihandelszonen von der Außenwelt ab, Gewerkschaften haben fast nirgendwo Zutritt. „In einigen Fabriken wurden sogar Außenkameras angebracht, um die Arbeiterinnen zu verängstigen und davon abzuhalten, mit Fremden zu sprechen“, berichtet Sonia Beatriz Lara Campos aus El Salvador, die jahrelang selbst als Näherin gearbeitet hat und inzwischen für die US-NGO National Labor Committee recherchiert.

Vor allem die großen Sportartikelhersteller wie Adidas, Puma und Nike fürchteten in den vergangenen Jahren immer wieder um ihr Image, wenn die internationale „Kampagne für saubere Kleidung“ mal wieder ein besonders krasses Beispiel unzumutbarer Arbeitsbedingungen in die Öffentlichkeit brachte. Zunehmend haben sie deshalb so genannte Codes of Conduct verabschiedet, die sie von ihren Zulieferern unterschreiben lassen. Darin enthalten sind mehr oder weniger die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO): keine Kinder- und Zwangsarbeit, das Recht auf Vereinigung sowie kollektive Verhandlungen und das Verbot von Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Rasse oder Religion.

An der Durchsetzung dieser Verträge haben die Firmen jedoch nur wenig Interesse. „Wenn eine Kontrolle ansteht, bekommen die Kinder einen Tag frei, überall wird geputzt, und in den Waschräumen gibt es plötzlich frisches Wasser und Papierhandtücher“, berichtete Gabriela Cortés vom Unterstützungszentrum für Arbeiter im mexikanischen Puebla kürzlich auf einer Veranstaltung der Otto-Brenner-Stiftung in Berlin. Damit konfrontiert, reagierte der Direktor für soziale und Umweltangelegenheiten bei Adidas-Salamon, Frank Henke: Man komme angekündigt, weil es ein Zeichen guter Partnerschaft sei, nicht einfach so bei einer anderen Firma aufzutauchen.

Die IG Metall hat sich zum Ziel gesetzt, bis zum Ende des Jahrzehnts 25 verbindliche Verträge mit Konzernen über die Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferern abzuschließen. Die Unterwäschefirma Triumph war 2001 einer der ersten, bei dem das gelang. Eine vierköpfige Arbeitsgruppe – zwei Arbeitgebervertreter und zwei Betriebsräte – soll aktiv werden, sobald von irgendeiner Seite Vorwürfe laut werden, dass der Unternehmenskodex verletzt wurde. Zwar versuchen die Arbeitnehmervertreter, Kontakt zu den überall auf der Welt verstreuten Kollegen aufzunehmen, und informieren sich auch bei Kirchen und NGOs. Doch von China, Korea und auch einigen osteuropäischen Ländern wissen sie nicht einmal, welche Firmen überhaupt für Triumph nähen – geschweige denn dass sie Kontakte dorthin hätten.

Kritische Verbraucher sollen ihren Protest bei den Herstellern und Handelsketten kundtun, fordert die Kampagne für saubere Kleidung. Wer aber anders einkaufen möchte, hat es schwer, T-Shirts und Hosen zu finden, die unter sozialverträglichen Bedingungen hergestellt wurden. Vorreiter in puncto externer Kontrolle ist Hess Natur. Zusammen mit der „Kampagne für saubere Kleidung“ startete das mittelständische Unternehmen im Sommer ein Pilotprojekt: Die osteuropäischen Zulieferer werden von unabhängiger Seite kontrolliert.

Wer ein sozial faires und ökologisch sauberes T-Shirt tragen will, kann dies bei der katholischen Landjugend beziehen (www.lamulamu.de): 1998 hat der Verband in Kenia eine Stoff- und Konfektionsfirma mit initiiert. Die saubere Jeans von Gepa aus Bolivien ist dagegen schon wieder vom Markt verschwunden.