: Afrikas Zukunft liegt im Meer
VON DOMINIC JOHNSON
Die weltweite Ölproduktion sinkt, die Nachfrage wächst. Bis 2010, so hieß es Ende Oktober auf der 10. afrikanischen Ölkonferenz in Kapstadt, soll der weltweite Ölbedarf von derzeit 120 Millionen Barrel am Tag auf 160 Millionen steigen – während die Förderung aus existierenden Ölfeldern zurückgeht und 2010 nur noch bei 80 Millionen Barrel am Tag liegen soll. An erster Stelle der neuen Förderregionen, die die Lücke füllen, steht Afrika, vor allem Afrikas Westküste zwischen Nigeria und Angola, der Golf von Guinea. Heute kommen aus Afrika insgesamt nur 9 Prozent der weltweiten Ölfördermenge. Aber bis 2010 soll sich dieser Anteil verdoppeln: in absoluten Zahlen von 10,5 Millionen Barrel täglich auf über 30 Millionen.
Das größte Wachstumspotenzial, so die Ölkonzerne, liegt unter Wasser. Weltweit entdeckten Ölfirmen im Jahr 2001 8 Milliarden Barrel neue Ölreserven, 7 Milliarden davon befinden sich vor der zentralafrikanischen Atlantikküste. Die Förderung, teils sogar in Tiefseefeldern, ist dort zwar deutlich teurer als in den Golfstaaten, aber die Region liegt deutlich näher am Hauptabnehmer USA, die Transportwege sind kürzer und politisch unbedenklicher.
Bis 2010 sollen in diese Gebiete 50 Milliarden US-Dollar Investitionen fließen, mehr als das Bruttosozialprodukt der Region. Das meiste davon wird aus den USA erwartet, die bereits 17 bis 21 Prozent ihres Bedarfs mit Öl aus Afrika decken. Der gesamte Staatengürtel von Nigeria über Tschad, Kamerun, Äquatorialguinea, São Tomé, Gabun, Kongo-Brazzaville und die Demokratische Republik Kongo bis hinunter nach Angola steht vor gigantischen Umwälzungen. In einige der ärmsten Länder der Welt rückt die kapitalintensivste Rohstoffindustrie der Welt ein.
Nigeria, der größte Ölförderer des Kontinents mit geschätzten 30 Milliarden Barrel bekannter Reserven, ist dabei wohl das schlechteste Vorbild. Das bevölkerungsreichste Land Afrikas richtete seine Wirtschaft bereits Anfang der 70er-Jahre auf Öl aus und ließ andere Wirtschaftszweige verkümmern. Heute bringt das Öl 83 Prozent der Staatseinnahmen und 95 Prozent der Exporteinnahmen. Zugleich sank das Pro-Kopf-Einkommen seit 1980 von 800 auf 300 Dollar im Jahr, während nach offiziellen Schätzungen 170 Milliarden US-Dollar Öleinnahmen auf ausländische Konten landeten.
Von den Einnahmen der internationalen Ölkonzerne verbleiben über die Hälfte im Land. Doch daran verdient vor allem Nigerias Elite. Der gesetzlich vorgeschriebene Anteil der Ölfördergebiete an den Öleinnahmen lag während der 1999 beendeten Militärdiktatur bei 3 Prozent. Heute sind es 13 Prozent, und die tatsächlichen Auszahlungen wuchsen zwischen 1999 und 2001 von 120 Millionen auf 1 Milliarde Dollar.
Die sozialen und ökologischen Schäden durch die Ölförderung im Niger-Flussdelta indes, die Mitte der 90er-Jahre durch medienwirksame Proteste des Ogoni-Volks bekannt wurden, sind nach wie vor verheerend, und heute befinden sich weite Teile der Bevölkerung des Nigerdeltas im Aufstand. So weichen die Ölkonzerne zunehmend aufs Meer aus.
Um ihren Ruf aufzupolieren, predigt Nigerias Regierung neuerdings Transparenz im Ölsektor. Präsident Olusegun Obasanjo unterstützt die Initiative „Publish What You Pay“ internationaler Nichtregierungsorganisationen, wonach Ölfirmen ihre Zahlungen an die Staaten, in denen sie tätig sind, veröffentlichen sollen. Die internationalen Konzerne, vor allem Shell und Chevron, sind damit einverstanden.
Damit positioniert sich Nigeria als Gegenbeispiel zu Angola, dem großen Rivalen Nigerias im regionalen Ölgeschäft. Die angolanische Küste birgt die reichsten Tiefseeölfelder der Region. Die Förderung soll sich in fünf Jahren auf 2 Millionen Barrel täglich verdoppeln, das heutige Niveau Nigerias. Aber in kaum einem Land ist der Umgang mit den Ölgeldern so unverschämt. Während des 2002 zu Ende gegangenen Bürgerkrieges finanzierte die Regierung ihr Militär aus den Öleinnahmen. Heute ruft sie nach internationaler Wiederaufbauhilfe, und ein Fünftel der Bevölkerung hängt komplett von ausländischer Lebensmittelhilfe ab. Aber zugleich spricht der Internationale Währungsfonds (IWF) von 4 Milliarden Dollar veruntreuter Ölgelder allein in den letzten fünf Jahren.
Die Fehler Nigerias und Angolas reproduzieren sich in den zwei kleineren traditionellen Öllandern der Region: Gabun und Kongo-Brazzaville. In beiden ist die große Zeit des Öls eigentlich schon vorbei, und mit dem Ölboom wurden immense Auslandsschulden angehäuft. In Kongo-Brazzaville finanzierten Politiker damit Bürgerkriegsmilizen. In Gabun sorgte der Ölreichtum zeitweise für ein statistisches Pro-Kopf-Einkommen von 4.000 Dollar – das höchste Afrikas. Aber der Großteil der Bevölkerung lebt in Armut. Nun sinkt Gabuns Bruttosozialprodukt seit 2000 ständig, während die sozialen Probleme wachsen.
Die neuen aufstrebenden Ölmächte der Region wollen solche Fehler nun vermeiden. Es handelt sich um zwei kleine Länder mit großen, lukrativen Territorialgewässern: Äquatorialguinea und São Tomé und Príncipe. Äquatorialguinea mit einer Million Einwohnern lag in den letzten Jahren an der Weltspitze des Wirtschaftswachstums: 107 Prozent 1997, immerhin noch 62,7 Prozent 2001 und voraussichtlich 10 Prozent in diesem Jahr. Insgesamt hat sich das Bruttosozialprodukt in den letzten zehn Jahren verzwanzigfacht, die jährlichen Öleinnahmen der Regierung kletterten im gleichen Zeitraum von 3 Millionen auf 725 Millionen pro Jahr. Allerdings ist das nur ein Fünftel der Fördereinnahmen der Ölkonzerne. Die Kontrolle der Ölfirmen durch die Regierung gilt als ausgesprochen lasch. Aber das passt zum Regierungsstil von Präsident Obiang, dessen 50-köpfiges Kabinett fast zur Hälfte aus seinen Verwandten besteht.
Der Nachbar São Tomé will demgegenüber alles richtig machen. Noch ist auf dem Inselstaat kein Tropfen Öl geflossen, aber ein komplexes Regelwerk dafür gibt es bereits. Nachdem erste Ölverträge 2001–02 von Korruption begleitet waren – eine Firma zahlte ihre Konzessionsgebühr direkt auf das Privatkonto des Präsidenten ein –, regelte das Land seinen Ölsektor neu. São Tomés Meeresgebiet wird nun mit nigerianischer Hilfe international versteigert, vom Erlös bekommt Nigeria 60, São Tomé 40 Prozent. Die Ausschreibungen zur Auktion begannen im April. Bis Ende Oktober hatten die Ölkonzerne, an erster Stelle Chevron aus den USA, insgesamt 500 Millionen Dollar für Förderrechte geboten – doppelt so viel wie erwartet. Der Anteil São Tomés von 200 Millionen entspricht vier Jahren Bruttosozialprodukt. Die Transparenz bei der Konzessionsvergabe ist beispiellos.
Auch das beste Regelwerk kann jedoch schief gehen, wie dieser Tage im Tschad deutlich wird. Seit Oktober exportiert dieser bitterarme Binnenstaat Öl über eine tausend Kilometer lange Pipeline nach Kamerun ans Meer. Investitionen von 3,7 Milliarden Dollar gingen dem voraus. Insgesamt eine Milliarde Barrel sollen über 25 Jahre fließen, woran der Tschad insgesamt bis zu 6 Milliarden Dollar verdienen dürfte – der heutige Staatshaushalt beträgt 300 Millionen Dollar. Ende 1998 gab sich der Tschad unter Druck der Weltbank das weltweit schärfste Ölgesetz der Welt: 10 Prozent der staatlichen Öleinnahmen landen in einem Zukunftsfonds, vom Rest müssen 80 Prozent in die Bereiche Bildung, Gesundheit, ländliche Entwicklung, Infrastruktur und Wasserversorgung gehen, 5 Prozent fließen in die betroffenen Gemeinden und nur 15 Prozent in den allgemeinen Staatshaushalt.
Dieser Schlüssel greift allerdings erst, nachdem die Regierung ihre Steuern und Gebühren abgezogen hat. Diese sind verdächtig hoch. Und schon vor Beginn der Förderung, die am 10. Oktober feierlich zelebriert wurde, musste die Regierung zugeben, von ihren ersten Einnahmen Waffen gekauft zu haben.
Mit den in den nächsten 20 Jahren zu erwartenden Öleinnahmen des Kontinents in Höhe von 200 Milliarden Dollar könnten theoretisch die wichtigsten Entwicklungsprobleme Afrikas gelöst werden. Aber in den neuen Ölstaaten sind bereits alle Begleiterscheinungen wirtschaftlichen Aufschwungs zu sehen, die diese Entwicklungsprobleme eher verschärfen: Korruption, Zuzug verarmter Migranten zum Teil unter Bedingungen des Menschenhandels, zunehmende Grenzkonflikte. Und für die Zukunft lässt sich nichts Gutes erhoffen.
Als nächste interessanteste Region für waghalsige Ölsucher in Afrika gilt derzeit ein Gürtel von Niger über den Süden Tschads quer durch die Zentralafrikanische Republik bis in den Nordosten der Demokratischen Republik Kongo und Westuganda. Und nicht weit davon sprudelt längst Öl in den Kriegsgebieten des Bürgerkriegslandes Sudan, dessen Profite den Militärhaushalt der Regierung entlasten. Auch nicht gerade ein leuchtendes Beispiel für Afrikas Zukunft.