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Archiv-Artikel

Rettet die Scholls!

An allen deutschen Universitäten wird gespart. Aber kein Bundesland kürzt mehr als Bayern. Auf der Abschussliste: Das Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaften. Versuch einer Entrüstung

Von TOBIAS MOORSTEDT und BARBARA HÖFLER

Unheimlich, die Ruhe nach dem Sturm – vielleicht, weil nicht sicher ist, ob es überhaupt ein Sturm war. 30.000 Studenten haben letzten Donnerstag die weißblaue Gemütlichkeit mit Transparenten gegen „Stoiber Bildungsräuber“ gestört. Aber jetzt sind die TV-Bilder der Demo verschwunden, und es herrscht gesättigtes Schweigen. Dabei ist das Problem längst nicht gelöst. Vielleicht nicht einmal richtig erkannt. In Bayern geht es nicht allein um die Rettung des eigenen Studienplatzes.

Denn bayerische Regierungsbeschlüsse haben eine Besonderheit: Sie sind im Kleinen ein Beispiel für’s Große – der Testfall für den Regierungswechsel. Wie so eine Zukunftsvision aussieht, darf man ruhig einmal betrachten. An allen Unis wird gespart. Aber kein Bundesland kürzt mehr als Bayern. Ein Viertel des Uni-Etats fällt weg, wenn Ministerpräsident Stoibers Plan aufgeht. Daran besteht kein Zweifel. Bernd Huber, Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität, verfügte zuvorkommend einen Einstellungsstopp und verlängert Verträge nicht. Das spart 600 Stellen. Außerdem träfe es fünf Institute – wovon eines die CSU-nahe Bewusstseinsebene besonders illustriert: das Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaften (GSI).

1968 in Tradition und zu Ehren der Weißen Rose gegründet, will sich der Freistaat die Einsparung jetzt leisten. Ein Staat schafft sein Politikinstitut ab, das zweitgrößte Deutschlands zumal. Im Februar 2003 hatte Stoiber eine Büste von Sophie Scholl in die Walhalla gestellt – eine Staatsheilige, ein „Vorbild und weltweites Symbol für den Aufstand des Gewissens“. Acht Monate später verkündete Stoibers Gewissen: „Deutschland muss zum Wohle seiner Zukunft saniert werden.“ Das GSI kann dazu offenbar nichts beitragen.

Oder stört es vielleicht sogar? Fakt ist: Das Institut krankt schon lang. Anfangs assoziierte man Namen wie Eric Voegelin, Hans Maier und Kurt Sontheimer damit, in den 60ern und 70ern war es der totalitarismuskritische Gegenpol zur Frankfurter Schule – immerhin eine Stimme im Diskurs. Für die Gegenwart attestiert dem GSI eine 1999 von Zehetmair (CSU) initiierte Qualitätsstudie aber: „Tatsächlich kann man nicht sagen, dass das Institut in Deutschland nachhaltige Akzente gesetzt hätte.“

Missstände nicht gerade intellektueller Natur: Die sozialwissenschaftliche Fakultät ist die drittgrößte der LMU. Mit dem zweitkleinsten Budget. Seit Jahren sind am GSI Professorenstellen unbesetzt, fünf dieser Tage. Die Studie setzte noch auf den Generationenwechsel. Aber dazu kommt es jetzt nicht mehr: 60 Prozent des Mittelbaus fliegen raus. Im nächsten Semester könnten so nur noch acht von 45 Grundkursen stattfinden. Die Uni kann sich der bürokratischen Terminierung in diesem Fall wohl nur fügen. Wissenschaftsminister Thomas Goppel hält das für bedauerlich, nennt die Schließung des GSI aber eine „freie Entscheidung der Universität“. Nachvollziehbar, wo doch „der Zufall“ es wolle, dass ohnehin so viele Lehrstühle frei sind.

Aber wie zufällig kann das sein? Im bayerischen Rechtsverständnis kommt es nämlich vor, dass der Wissenschaftsminister selbst einen Professor beruft: So geschehen im Fall des Stoiber-Beraters Heinrich Oberreuter. Als Wunschkandidat der Hochschulleitung kam er per bundesweit einmaligem „Sondervotum“ auf die Berufungsliste – als Leiter einer Politikakademie am Starnberger See, TV-Kommentator beim BR, Autor der Zeitschrift Information für die Truppe. Bis sich der Verwaltungsgerichtshof im letzten Jahr (endlich) gegen den Angriff auf die Hochschulautonomie durchgerungen hat, hieß es am GSI: Einstellungsstopp. Vielleicht hätte Oberreuter, wie angekündigt, „für Ordnung am GSI“ gesorgt.

Jetzt, wo sich dort kein CSU-Think-Tank installieren lässt, wird der Laden eben deinstalliert. Ohnehin wollte Goppel laut Antrittsrede nur noch in Hochtechnologie investieren. Wer braucht schon Habermas?

In einer Gesellschaft, in der man, außer ökonomisch, ohnehin nur noch symbolisch debattiert, wäre es jetzt Zeit für das „Das geht alle an“-Argument: die Scholls. In der öffentlichen Diskussion verstünde man das besser als Begriffe wie kritischer Diskurs. Vielleicht waren die Geschwister Scholl aber nur ein Feigenblatt. Spätestens dann muss es alarmieren, wie nackt man in Bayern jetzt geht. Vielleicht sollte man Stoibers Lehreinheit in der Walhalla wörtlich nehmen: „Freiheit ist niemals eine Selbstverständlichkeit. Freiheit braucht stets aufs Neue den entschlossenen Einsatz zum Schutz vor ihren Gegnern.“ Stürmische Zeiten würden das.

Die Autoren, Diplomjournalistikstudenten, würden gern noch am Geschwister-Scholl-Institut ihr Diplom machen.