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Archiv-Artikel

„Industrie in jeder Praxis präsent“

Die Pharmakritik ist unterentwickelt, warnt Peter Sawicki vom „Medikamenten-TÜV“

Von UWI

taz: Herr Sawicki, was war in jüngster Zeit der größte Coup der Pharmaindustrie?

Peter Sawicki: Der große Coup der Pharmaindustrie passiert nicht punktuell auf politischer Ebene, sondern dort, wo täglich Millionen von Entscheidungen getroffen werden: im Arzt-Patienten-Verhältnis. Hier ist die Pharmaindustrie immer präsent. Sie beeinflusst so gut wie jede Verordnung.

Wie das?

Die Fortbildung der Ärzte wird immer noch hauptsächlich von der Pharmaindustrie durchgeführt. Auch das Internet, wo sich die Patienten heutzutage vieles ergoogeln, liefert vor allem pharmagesteuerte Informationen. Das merken die Leute nur nicht immer. Außerdem gibt es praktisch keine Gesundheitsbildung im deutschen Schulsystem. In Großbritannien dagegen gibt es im Unterricht Übungen zur Einschätzung von gesundheitlichen Risiken.

Aber die Deutschen mit ihrer Vorliebe für Alternativmedizin gelten doch als so aufgeklärt?

Auch die Alternativmedizin-Branche stellt keine unabhängigen Informationen bereit. Ihre Anhänger stehen zwar in einer sehr deutschen Tradition der Naturheilkunde. Sie wenden sich frustriert von der zeitknappen Routinemedizin ab, die immer gleich mit Skalpell und Pillenpackung kommt. Aber deshalb sind sie ja nicht aufgeklärter.

Pharmakritiker haben zwar die Einrichtung Ihres Instituts begrüßt – aber bemängeln, dass aus Ihrem gesetzlichen Auftrag die Kosten-Nutzen-Bewertung von Medikamenten gestrichen wurde. Dies sei ein Sieg der Pharmaindustrie.

Ich bin eigentlich froh, dass wir die Kosten-Nutzen-Bewertung nicht als Pflicht, sondern als Kür leisten werden. Sie ist uns ja nicht verboten. Wie aber wollen Sie zum Beispiel die Wirtschaftlichkeit eines Medikaments bewerten, das nur die Sterblichkeit senkt? In anderen Fällen macht die Kosten-Nutzen-Bewertung dagegen Sinn: Ich kann Ihnen etwa vorrechnen, dass die Einrichtung von Fußambulanzen für Diabetiker billiger ist als die Fußamputation.

Was nun sollen die 1,5 Millionen Bundesbürger tun, die den Cholesterinsenker Sortis von Pfizer schlucken und erfahren, dass sie für dieses laut Pfizer beste Mittel über 200 Euro pro Jahr draufzahlen sollen?

Sie sollen den Wirkstoff Simvastatin nehmen. Der ist unter vielen Namen längst auf dem Markt. Seine Wirksamkeit ist am besten belegt. Für Sortis dagegen fehlen wichtige Daten. Die Behauptung von Pfizer, dass es für viele Patienten keine Alternative zu Sortis gibt, stimmt einfach nicht. Dies fällt unter Volksverdummung.

Ist es nicht Aufgabe Ihres Instituts, das anzuprangern?

Unsere Aufgabe ist die Information. Das Gesundheitsministerium und die Arzneimittelkommission der Ärzteschaft haben ja schon kritisch Stellung bezogen. Wir entwickeln gerade eine objektive Patienteninformation zu dem Thema, sie wird bald auf unserer Website (www.iqwig.de) verfügbar sein.

Kann man gegen solche Falschinformationen wie die von Pfizer über Sortis nicht auch klagen?

Die Pharmaindustrie sichert sich juristisch in der Regel sehr gut ab. Gleichwohl wäre es zum Beispiel Aufgabe der Verbraucherzentralen, gegen derart irreführende Kampagnen vorzugehen. Die Pharmakritik in Deutschland ist halt immer noch unterentwickelt. INTERVIEW: UWI