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Archiv-Artikel

Am liebsten stundenlang Coltrane-Soli üben

Er schafft es, dass Fusion seinen schalen Beigeschmack nachhaltig verliert: Gitarrist Mike Stern, der jetzt in Hamburg gastiert

„Wenn ich beim Spielen auch nur eine Person erreiche, wird das immer genug sein für mich.“

Eigentlich sind die Musiken der achtziger Jahre die Musiken der Jetztzeit. Denn um von einem Revival sprechen zu können, hat sich der Sound dieser merkwürdigen Epoche einfach zu sehr verbreitet. Sicher, Achtziger-Partys und „Formel Eins“-Hitcompilations drücken feste auf die Nostalgie-Tube. Indessen sorgen aber gerade zeitgenössische Bands wie Mia und Wir sind Helden oder – auf internationalem Parkett – Zoot Woman, dafür, dass die Zeit vor 20 Jahren und das Heute an manchen (Musik-)Oberflächen gar nicht mehr unterscheidbar sind. Ja, selbst irgendwie abartige Stile wie Prog- oder Art-Rock kommen mit Bands wie Air oder zuletzt The Mars Volta plötzlich wieder zu Ehren. Dennoch gibt es eine Musik, die scheinbar viele vergessen und in der Vergangenheit belassen wollen: Fusion.

Immerhin, wer provozieren möchte, kann sich mit einem Bekenntnis zu jener High-Tech-Virtuosität gute Chancen auf Erfolg ausrechnen. So manches „Igitt“ dürfte zu hören bekommen, wer die Helden jener Epoche wie etwa Dave Weckl oder Mark Egan anpreist. Nur greift das – wie bei jedem Versuch, kulturelle Phänomene, deren Übergänge immer fließend sind, von einander abzugrenzen –, natürlich sehr kurz. Denn Fusion ist nicht gleich Fusion, wie eben auch Rock‘n‘Roll nicht gleich Rock‘n‘Roll oder Country nicht gleich Country ist.

Mike Stern, der jetzt in der Hamburger Fabrik gastiert, ist Fusiongitarrist. Er ist virtuos, er spielte vor 20 Jahren mit vielen einschlägigen High-End-Langweilern, wie etwa den oben Genannten, und hat auf seinem Debutalbum von 1986 (Upside Downside) leider so manches Angeber-Lick abgedrückt.

Und doch ist er einer, der die Zeit gut überstanden und Fusion im wörtlichen Sinne vorangebracht hat, wie seine beiden letzten Alben Play und Voices beweisen. Der amerikanische Kritiker Bill Milkowski bezeichnete das als „Bop‘n‘Roll‘‘. Der Einfachheit halber könnte man es auch Jazzrock nennen. Mit rockistischer Vehemenz spielt der mittlerweile 50-jährige aber im Grunde ja schon immer. Bestens nachzuhören ist das auf We want Miles, Miles Davis‘ legendärer Livescheibe aus 1982. Da hört man Fusion, wie er hätte sein sollen, was dann aber im Verlaufe des Jahrzehnts immer weniger wurde. Und man hört einen Gitarristen, der auf seiner elektrischen Fender-Gitarre Jazz macht, der von Jim Hall und John Coltrane ebenso weiß wie von Jimi Hendrix und John Lee Hooker.

In einem Interview sagte Stern einmal, er sei sehr in der Tradition des Straight Ahead Jazz verwurzelt, aber genauso mit Funk, Blues und Rock aufgewachsen. Und so kann er – der heute noch immer am liebsten stundenlang Coltrane-Soli übt – weite und vertrackte Melodiebögen spielen, zugleich aber genauso zeigen, wie man es mit einer E-Gitarre und einem Röhrenverstärker krachen lassen kann. Plötzlich verliert Fusion dann seinen schalen Beigeschmack. Was bleibt, ist Musik. Und die spielt Stern, so wie er es nicht zuletzt bei Miles Davis gelernt hat, „to catch people“. „Versuche Seele und Herz in deine Musik zu legen, und vielleicht erreichst du damit jemanden. Wenn ich beim Spielen nur eine Person erreiche, wird das immer genug sein für mich.“ Gerd Bauder

heute, 21 Uhr, Fabrik, Barnerstraße 36, Hamburg