: „Wir dürfen die Logik des Terrors nicht akzeptieren“, sagt Herr Segev
Mit der Genfer Initiative versuchen Israelis und Palästinenser zu zeigen, dass ein Kompromiss in Nahost möglich wäre
taz: Sie gehören zu den letzten Befürwortern der Osloer Abkommen und damit einer stufenweisen Lösung des Konflikts. Die Genfer Initiative versucht genau das Gegenteil: eine endgültige Lösung. Hat das Scheitern von Oslo nicht bewiesen, dass es stufenweise nicht geht?
Tom Segev: Ich glaube nicht, dass es eine Grundlage für eine endgültige Lösung gibt. Deshalb würde ich morgen früh auf den Osloer Vertrag zurückkommen und von vorne beginnen. Es hat bei der Umsetzung viele Fehler gegeben. Aber das Prinzip von Oslo war richtig.
Eine stufenweise Lösung bedeutet, die harten Konflikte ans Ende der Verhandlungen zu stellen. Aber warum soll man eine Regelung der Flüchtlingsfrage aufschieben, wo doch jetzt schon klar ist, dass es nur eine Lösung gibt: Die Palästinenser verzichten auf das Rückkehrrecht und werden dafür finanziell entschädigt?
Das stimmt nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Lösung für das Flüchtlingsproblem, für die jüdischen Siedlungen und Jerusalem gibt, die eine Mehrheit auf beiden Seiten bekommen würde. Die Kluft in diesen drei Punkten ist noch immer sehr tief. Wir müssen jetzt pragmatische Lösungen suchen. Alles andere kommt später: vielleicht 2030 oder 2040, wenn die Palästinenser jahrzehntelang ihre Unabhängigkeit praktiziert haben.
So lange?
Für Jerusalem gibt es seit 3.000 Jahren keine Lösung. Das heißt nicht, dass wir nicht trotzdem friedlich koexistieren können. Die Flüchtlingsfrage kann nicht gelöst werden, solange die Palästinenser in Lagern leben und leiden. Ich glaube allerdings, dass die Palästinenser zuallererst einen Staat haben müssen – und zwar jetzt, zu Beginn des Prozesses. Solange sie keinen Staat haben, können sie auch keine notwendigen Zugeständnisse machen.
Glauben Sie, dass die Gewalt ohne Friedensvertrag beendet werden kann?
Wir müssen akzeptieren, dass wir bis zu einer Lösung des Konfliktes mit einem gewissen Maß an Terror leben müssen. Aber es kann nicht sein, dass jeder 17-Jährige, der sich in Tel Aviv in die Luft sprengt, die politische Tagesordnung des gesamten Nahen Ostens bestimmt. Israel muss die Siedlungen auflösen, vor allem in Gaza, aber nicht nur dort. Ich verlange keinen Frieden dafür, noch nicht einmal das Ende des Terrors. Denn die Auflösung von Siedlungen liegt im israelischen Interesse. Das ist genau das, was ich „den Konflikt kontrollieren“ nenne. Die Spannung muss gemildert werden. Den Terroristen muss klar gemacht werden, dass wir ihre Logik nicht akzeptieren.
Scharon hat gerade die Auflösung von Siedlungen in Aussicht gestellt, die Gründung eines Staates Palästina steht 2004 an. Es geht also alles genau so, wie Sie es wollen. Also alles in Ordnung?
(Ironisch) Ja, sicher. Es wird sich nichts zum Besseren ändern, solange Scharon und Arafat regieren. Beide betrachten sich gegenzeitig durch das Zielfernrohr eines Gewehrs. Scharon hat vor einem Jahr die strategische Bedeutung von Netzarim [Siedlung im Gaza-Streifen, A. d. R.] betont. Wie viele Siedler leben denn dort? Drei, fünf, neun? Und von denen hängt laut Scharon die Sicherheit des Staates Israel ab.
Scharon wird ohne Druck aus den USA gar nichts unternehmen. Und diesen Druck wird es nicht geben, solange George W. Bush regiert. Den interessiert Nahost wenig. Wir stecken fest. Und vergeuden kostbare Zeit.
Immerhin gibt es jetzt die „Genfer Initiative“.
Ja, und darüber bin ich froh. Nicht wegen ihres Inhaltes, sondern weil sie zeigt, dass es jemanden gibt, mit dem man reden kann. Das ist ein Hoffnungsschimmer, der zeigt, dass Scharon, Arafat und die Terroristen nicht mehr das Monopol in diesem Konflikt haben. Die Initiative schließt an eine Reihe von positiven Zeichen an. Es hat Friedensdemos gegeben, es gibt Militärdienstverweigerer, israelische Piloten, die den Einsatz in Bevölkerungszentren ablehnen.
Allerdings waren dies mehr oder weniger Eintagsfliegen, die schnell wieder in Vergessenheit gerieten. Droht der Genfer Initiative auch das baldige Ende in der Schublade?
Ich hoffe nicht. Offenbar gibt es Leute, die damit ihre politische Zukunft verbinden. Und es ist wohl auch genug Geld da, um das Ganze weiterzutreiben.
Angenommen, der Plan wird doch von den Mehrheiten auf beiden Seiten unterstützt. Was dann?
Dann bleibt das Problem, dass wir den Palästinensern etwas anbieten, was sie nicht annehmen können. Das war leider schon immer so. Seit 1967 hat sich nichts verändert. Wir werden die Palästinenser nicht los. Wir können sie nicht kontrollieren, und wir können uns nicht mit ihnen einigen. Es gibt nichts Neues. INTERVIEW: SUSANNE KNAUL