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Archiv-Artikel

Amerikanische Odyssee

Das durch vier Städte tourende Festival „Freischwimmer“ auf Kampnagel lässt den Theaternachwuchs experimentieren

von Katrin Jäger

Schwimmabzeichen sind toll. Sie dekorieren eintönige Bademode, sie stehen für eine Leistung und den damit verbundenen Stolz. Damals war das so, in der Schule, als es für 15 Minuten Dauerschwimmen unter dem strengen Blick des Schwimmlehrers und den Sprung vom Ein-Meter-Brett den Aufnäher gab.

Jetzt kommen sie zurück, die „Freischwimmer“, und zwar als Festival auf Kampnagel. Sechs junge Gruppen präsentieren dort ab Donnerstag ihre Shows, wollen sich so freischwimmen in der deutschsprachigen Theaterszene.

Kampnagel ist eine von vier Spielstätten, durch die die Ensembles touren. Premiere hatte das „Freischwimmer“-Programm in den Berliner Sophiensälen, nun folgt Hamburg, dann geht‘s nach Zürich und Düsseldorf. „So geben wir den Gruppen die Gelegenheit, sich überregional zu präsentieren. Außerdem können sie auf der Tournee netzwerkeln. Das ist wichtig, gerade am Anfang der Bühnenkarriere“, erklärt Kerstin Evert, die auf Kampnagel verantwortliche Organisatorin. Aus rund 50 Bewerbungen hat die Jury der beteiligten Spielstätten die „Freischwimmer“ ausgewählt. „Wir haben ,Amerika‘ als grobes Thema vorgegeben. Interessanterweise sind ausschließlich Arbeiten zu den USA eingegangen“, so Evert. An jedem Abend zeigt Kampnagel hintereinander zwei Produktionen, an den Wochenenden drei. Den ersten Abend eröffnen die Postkartengrüße aus New York von der Gruppe „Kumpane/Spanish Harlem“. Die AkteurInnen: junge Performer rund um den Schweizer Autor Andri Beyeler. Dessen Stück The Killer In You Is The Killer In Me My Love hat vor zwei Jahren den Preis der Thalia-Autorentage bekommen. Auch Andreas Kebelmann ist dem Kampnagel-Publikum vertraut – durch seine satirische Demontage des Weltraumheldentums in seiner Diplominszenierung wann kommst du zurück, im April dieses Jahres. Freischwimmen will er sich diesmal mit der Story der Schwarzen Mamba. Kebelmann inszeniert darin eine performative Landkarte der USA. SchauspielerInnen stellen bekannte Filmszenen nach und ordnen sie geographisch zu. Wenn Andreas Kebelmann sich treu bleibt, inszeniert er diese Fiktion des Realen mit einem guten Schuss ironischer Schärfe.

Davon, dass der amerikanische Traum auch vor der ostdeutschen Provinz nicht halt macht, zeigt das Stück im wilden, wilden Osten von Steffi Hensel und Nico Dietrich. In ihrem Autorenstück fragt sich Kalle: Soll die Countrysängerin Rockin Rose im märkischen Graunitz die Sporenstiefel schwingen dürfen oder nicht? Daran erhitzen sich die Gemüter der kleinen Gemeinde. Denn Rose ist schon zu DDR-Zeiten aufgetreten.

Zu ihrem antik motivierten Road Movie lädt Odysseus‘ Dia-Abend Spezial ein. Die Gruppe „FarADayCage“ um den Regisseur Tomas Schweigen begibt sich in dieser Video-Performance auf die Spuren des Urvaters aller Irrenden – im Osten der USA. Und was wären die USA ohne ihr Streben nach „Bigger, Better, Faster, More!“? Esther Steinbrecher zeigt in ihrer Inszenierung Menschen, die das nicht mehr mitmachen wollen. Bob weigert sich, der fetteste Mensch zu werden, Barbara will ihr Kind nicht zu Schönheitswettbewerben schicken. Sie landen, zusammen mit anderen, die die Mittelmäßigkeit der Jagd nach Superlativen vorziehen, in der Klapse. Der amerikanische Penis verlängert denselben mit musikalischen Instrumenten. Marcus Droß und Michael Wolters stellen die Oper als Potenzmittel vor.

18. – 27. 11., Kampnagel