: Der Linke, der die Banken linkte
ANTIKAPITALISMUS 68 Kredite erschwindelte sich der Katalane Enric Duran – zusammen eine halbe Million Euro. Mit dem Geld finanzierte er linke Projekte
AUS MADRID REINER WANDLER
Nur auf den ersten Blick ist Enric Duran der Traum jeder spanischen Schwiegermutter. Glatt rasiert, das Haar ordentlich gekämmt, eher spießig gekleidet, eine sanfte, aber entschlossene Stimme – das schafft Vertrauen.
Seit Mitte März sitzt Duran im Knast. Denn der 33 Jahre junge Mann aus Vilanova, einer Kleinstadt in Spaniens katalanischem Nordosten, hat in den letzten Jahren 39 Banken um insgesamt 492.000 Euro erleichtert. Nicht etwa mit der Pistole in der Hand. Das würde nicht zu Duran passen, sondern mit dem Aktenkoffer unter dem Arm.
Enric Duran beantragte insgesamt 68 Kredite und zahlte sie dann ganz einfach nicht zurück. Mit dem Geld finanzierte er linke und alternative Projekte. „Robin Hood der Banken“ nennen ihn die einen. Ein gefährlicher Betrüger ist er für die anderen. Wegen unterstellter Fluchtgefahr wird er das Gefängnis in den Monaten bis zur Prozesseröffnung wohl kaum verlassen. Wegen Betrug und Fälschung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.
In mehreren Videos, die auf YouTube zu finden sind, erklärt Duran seine Idee, berichtet von seinen Erfahrungen. „Das Finanzsystem ist wesentlich verletzlicher, als wir denken“, erklärt Duran und wirkt noch immer erstaunt. Seinen ersten Kredit beantragte der Studienabbrecher mit einer frei erfundenen Lebensgeschichte. „Guten Tag. Ich bin Informatiker und befinde mich in einem beruflichen Perspektivwechsel. Ich habe bisher in einer großen Firma gearbeitet und will mich jetzt selbstständig machen“, spielte er die zuvor genau einstudierte Rolle. Es klappte. Duran unterzeichnete seine ersten 6.000 Euro auf Pump.
Einmal auf den Geschmack gekommen, beantragte er weitere Kredite, „immer mit der klaren Absicht, sie nicht zurückzuzahlen.“ Mal ging er als Unternehmer oder Freiberufler, mal mit gefälschtem Lohnzettel als gut verdienender Angestellter, der seine Wohnung renovieren müsse oder andere unvorhergesehene Ausgaben zu tätigen habe. Mit dem frischen Geld beglich er Raten der alten Kredite, um das System am Laufen zu halten. Nach einigen Monaten stellte er die Zahlung dann ein.
„Die Lawine wurde immer größer“, berichtet Duran. Im September letzten Jahres beschloss er schließlich, alles Geld abzuheben, umzuverteilen und „die Aktion“ wie er es nennt, öffentlich zu machen. In einem langen Text in der eigens gegründeten Zeitschrift Crisi mit einer Auflage von 250.000 Exemplaren beschrieb Enric Duran seinen Überfall aufs Finanzsystem. Während er längst irgendwo in Lateinamerika untergetaucht war, wurde die Zeitschrift überall in Katalonien kostenlos verteilt. An Geld fehlte es ja nicht.
Ein halbes Jahr später kam Duran zurück. Auf einer Pressekonferenz in der Universität von Barcelona stellte er sich der Polizei. Über sich selbst erzählt Duran nur wenig. „Früher spielte ich nur Tischtennis im Verein und trainierte die Jugend“, erinnert er sich an sein Leben in der Kleinstadt. Über das Lesen sei er zum Entschluss gekommen, „etwas ändern zu wollen“. Es zog ihn nach Barcelona, wo er schnell in den Kreisen der Globalisierungskritiker fand, was er suchte. Er beteiligte sich an der Kampagne für den Erlass der Auslandsschulden der armen Länder und arbeitete an verschiedenen Internetplattformen zur Verbreitung unterdrückter Nachrichten mit. Bald schon widmete er sich ganz der Politik: Gipfelproteste, Demonstrationen gegen den Irakkrieg …
„Doch irgendwann merkte ich, dass die sozialen Bewegungen nicht vorwärtskamen“, erklärt Duran. So kam die Idee für den „solidarischen Betrug“, wie er seine Aktion nennt. Der „Robin Hood der Banken“, wie er von Spaniens Medien bald getauft wurde, sieht darin die Verschmelzung des zivilen Ungehorsams nach Gandhi mit der Tradition der „bewaffneten Enteignungen“ der spanischen Anarchisten in den 1930er-Jahren.
Duran möchte ein Beispiel geben „dafür, dass wir besser und glücklicher leben können, wenn wir uns vom Individualismus, den das System geschaffen hat, entfernen“. Der Angriff auf das Finanzsystem ist für ihn ein erster Schritt hin zum selbstbestimmten Leben. Das allerdings dürfte für ihn vorläufig hinter Gefängnismauern stattfinden.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen