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Archiv-Artikel

„Gläubige müssen die Predigt verstehen“

Der Staatsrechtsprofessor Rainer Wahl hält eine Pflicht zu deutschsprachigen Predigten in Moscheen für unzulässig

taz: Herr Wahl, die Stuttgarter Kultusministerin Annette Schavan (CDU) schlägt ein Gesetz vor, wonach aus Sicherheitsgründen in deutschen Moscheen nur noch in deutscher Sprache gepredigt werden darf. Wäre so eine Regelung möglich?

Rainer Wahl: Nein, ein derartiges Gesetz wäre mit unserer Verfassung nicht vereinbar. Im Grundgesetz ist garantiert, dass die Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten und vor allem ihren Ritus selbst bestimmen können. Ein Gesetz, das die Sprache des Gottesdienstes vorschreibt, wäre deshalb nicht zulässig.

Diese Selbstbestimmung gilt aber nur „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“. Warum wäre ein Gesetz, wie es Frau Schavan vorgeschlagen hat, nicht möglich?

Weil es nicht nur die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaft, sondern auch die Religionsfreiheit der einzelnen Gläubigen betrifft. Bei der Sprache des Gottesdienstes geht es um den Kern der religiösen Verkündung. Wenn die Botschaft bei Gläubigen nicht mehr ankommt, weil sie die Sprache der Predigt nicht verstehen, ist das ein Eingriff, der nicht zu rechtfertigen ist.

Stellt sich auch ein Problem der Gleichbehandlung mit anderen Religionen?

Natürlich. Wenn in katholischen Gottesdiensten polnisch oder kroatisch gesprochen wird, stellt sich schon die Frage, warum in einer Moschee nicht türkisch oder arabisch gepredigt werden darf. Allerdings ist eine Ungleichbehandlung immer dann gerechtfertigt, wenn es einen sachlichen Grund hierfür gibt.

Und sehen Sie einen?

Im Moment nicht. Wenn es in Moscheen einzelne Hetzpredigten gegeben hat, genügt dies nicht, den Islam insgesamt unter Verdacht zu stellen. So würde man mit einer anderen Religion auch nicht umgehen. Anders wäre es, wenn in deutschen Moscheen flächendeckend Gewalt gepredigt würde.

Wenn Schavans Idee nicht zu verwirklichen ist, was kann man dann gegen einzelne Hassprediger tun?

Am besten wäre es natürlich, wenn Muslime sich selbst gegen solche Hetzer wenden und mit der Polizei zusammenarbeiten, damit Hassprediger bestraft und ausgewiesen werden können. Ansonsten gibt es auch den Verfassungsschutz. Dort sollte man über genügend Personal verfügen, das auch Türkisch oder Arabisch versteht, um herauszufinden, was in verdächtigen Moscheen gepredigt wird.

Ist es zulässig, Religionsgemeinschaften vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen?

Ja, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass dort gegen unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung agitiert wird.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH

Hinweis: RAINER WAHL, 63, ist Professor für Staatsrecht und Direktor am Institut für Öffentliches Recht der Universität Freiburg