: Singen nach Tuschestrichen
Die Opernsängerin Ge-Suk Yeo musste erst nach Hamburg gehen, um auf die koreanische Avantgarde zu stoßen. Inzwischen tourt sie damit durch Europa, heute ist in Hamburg Gelegenheit zum Hören
Auf der dunklen Leinwand erscheinen weiße Symbole. Sie sehen aus wie asiatische Kalligraphie, gruppieren sich immer neu, schlagen Purzelbäume und benehmen sich wie animierte Strichmännchen. Eine Besucherin in asiatischem Seiden-Kleid wird von ihrem Begleiter gebeten, einmal vorzulesen. Sie lacht: die Projektion zeigt keine Schriftzeichen – die multimedia-Installation The Talking Wall flüstert und raunt und ist das Rahmenprogramm für ein Konzert koreanischer Avantgarde-Musik.
Sori Numgi – Sound Skipping nennt sich das Trio, und es wird diesem Namen gerecht. Die Pianistin Miyeon streut sparsam Klänge ein, entwickelt selten einen Groove, Je-Chun Park kniet auf dem Boden inmitten seiner Trommeln, Becken und Gongs, die nach verwunschenen Tempeln inmitten des asiatischen Regenwalds klingen. Und die Sängerin Ge-Suk Yeo verwirbelt mit einem kleinen Mischpult und digitalen Effekten sinnfreie Klangsilben mit Belcanto- Kantilenen.
Das Trio gastierte gerade beim interkulturellen Festival Eigenarten in Hamburg, und dort, in Altona, lebt Ge-Suk Yeo auch und arbeitet an verschiedenen internationalen Projekten. Die Koreanerin hat einen weiten Weg hinter sich. Ausgebildete Sopranistin, war sie eigentlich wegen der großen Tradition der europäischen Oper nach Deutschland gekommen. In Berlin setzte sie ihre in Seoul begonnenen Studien des Belcanto fort. Doch in der Praxis lernte sie die Schattenseite des Musiktheaters kennen: die immer gleichen Aufführungen, Abstumpfung und Entfremdung.
In der lebhaften Szene von freiem Jazz und Improvisation fand sie ein Gegenmodell. Hier wird die Musik unmittelbar von den Musikern erfunden, immer wieder neu. Aber es gab auch Widerstände, als Ge-Suk Yeo ihre musikalische Prägung in die so genannte freie Szene mitbrachte. Belcanto-Klänge waren für die Ästheten des Noise tabu. Lange musste die Sängerin um ihre persönliche Verbindung von klassischer Tonbildung mit der Klangfreiheit der Avantgarde kämpfen.
Inzwischen tourt Ge-Suk Yeo international und hat sich auf der Szene als einzigartige Stimme etabliert. Auch als bildende Künstlerin hat sie sich einen Namen gemacht. In der Tradition asiatischer Kalligraphien wirft sie mit dem Pinsel Tuschezeichnungen aufs Papier – doch die verweisen nicht auf poetischen Schriftsinn, sondern entsprechen als graphische Notationen den abstrakten Klängen und Abläufen. So kann Yeo ihre Musik oft einfacher erklären, als eine Übersetzung in Worte das leisten könnte.
Ohnehin geht Kommunikation meist seltsame Wege. Erst in Hamburg erfuhr Ge-Suk Yeo, dass es auch in Korea frei improvisierende MusikerInnen gibt. Die hanseatische Tanz-Performerin Mizuki Wildenhahn vermittelte den Kontakt, und als Ge-Suk Yeo nach Seoul reiste, traf sie Miyeon und Je-Chun Park. Als Trio Sori Numgi sind sie – nach dem legendären Saxophonisten Tae-Hwan Kang – die zweite Gruppe in der koreanischen Musikgeschichte, die sich der freien Musik verschrieben hat. Heute Abend sind sie auf ihrer ersten Europatournee wieder in Hamburg. Im Ottenser Monsun Theater treffen sie auf Gäste aus Madrid und der befreundeten Hamburger Szene. Tobias Richtsteig
Donnerstag, 20 Uhr, Monsun Theater, Hamburg