: Steigender Bedarf an Organen
Das vor wenigen Jahren verabschiedete Transplantationsgesetz hat nicht zu einer erhöhten Bereitschaft für eine Organspende geführt. Die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage wird immer größer. Jetzt soll die Zahl der Lebendspenden erhöht werden
VON ULRIKE KOPETZKY
Der Mangel an Spenderorganen wird immer größer. Die Deutsche Gesellschaft für Organtransplantation (DSO) meldet einen Rückgang der Postmortalspenden im ersten Halbjahr. Dabei stehen fast 12.000 Menschen auf der Warteliste, die via Eurotransplant in den Niederlanden und der DSO, Hilfe erhoffen. Und der Bedarf steigt noch weiter an.
Das Transplantationsgesetz (TPG) von 1997 sollte eigentlich mehr BürgerInnen zur Organspende motivieren. Das befürworten auch die EU und der Europarat. Ende September stand „Organ- und Gewebetransplantation“ plötzlich auch auf der Agenda des Nationalen Ethikrates (NER). Laut Professor Spiros Simitis, Vorsitzender des NER, sei an die Mitglieder vermehrt der Wunsch nach einem Markt für Organe wie in den USA herangetragen worden. Man fragt sich jedoch, welche Geister den NER riefen, denn die Enquetekommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Bundestages beschäftigt sich damit schon seit langem. Von dort ist auch massiver Unmut zu hören. Dem Vorsitzenden, René Röspel (SPD), fällt auf, dass der NER die Themen im Anschluss an die Kommission bearbeitet. Dann könne die „ethische Begleitforschung doch gleich aus dem Etat des Bundeskanzleramtes bezahlt werden“, so Röspel.
Doch warum steht das Thema Organspenden überhaupt auf der Tagesordnung? Der Grund sind noch bestehende Lücken im TPG gerade im Hinblick auf die Entnahme von Zellen und Geweben. Diese sollen durch eine Gesetzesnovellierung geschlossen werden. Das vor wenigen Monaten in Kraft getretene neue Arzneimittelgesetz trägt dem zum Teil schon Rechnung, allerdings „schwächt es den Probandenschutz zugunsten von Pharmaunternehmen“, so Wolfgang Wodarg (SPD).
Und die sinkende Spendenneigung gegenüber dem steigenden Bedarf? Die DSO-Website zeigt auch bei den Lebendspenden ein Rückgang: bei den Nieren von 19,1 (2002) auf 16,1 Prozent (2003). Noch größer ist er bei den Teilleberspenden. Laut Julia Klöckner (CDU), Moderatorin der „Themengruppe Transplantationsmedizin“ in der Enquetekommission, sind es vornehmlich Frauen, die zur Lebendspende bereit sind. Pro Jahr werden etwa 3.500 Nieren und 1.100 Lebern gebraucht. Klöckner schätzt, dass der Bedarf jährlich um 15 Prozent steigt, will aber der Postmortalspende den Vorzug geben, da die Lebendspende zwar wahrscheinlich die bessere Therapie sei, aber die Organentnahme bei der Spenderin irreversible Schäden hinterlassen könne.
Aufgrund des Mangels an Postmortalspenden wird der Ruf nach Ausweitung des Spenderkreises bei Lebendspenden von Seiten der Kranken wie der Transplantationsmediziner immer lauter. Nach dem TPG ist eine Lebendspende nur möglich, wenn der Organempfänger ein Angehöriger oder Nahestehender des Spenders ist. Neu diskutiert wird, die bis jetzt verbotene Überkreuzspende zwischen verschiedenen Ehepaaren oder soge nannte Poolmodelle zuzulassen.
Dabei äußerte sich der Europarat in seinem Bericht zum Organhandel (2003) besorgt über die Situation in Deutschland. Bedenklich ist unter anderem ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 10. Dezember 2003, mit dem die Begriffe „Nahestehende“ und „persönliche Verbundenheit“ aufgeweicht wurden.
Graue Märkte scheinen sich hier bereits anzukündigen, so der Versuch der Versteigerung einer Niere beim Internetdienst eBay oder das so genannte Kommissions(s)hopping auf das Julia Klöckner hinweist. Dabei wird der Versuch unternommen, eine Landesspendenkommission zu finden, die eine genehmes Votum zur Lebendspende abgibt. Professor Uwe Heemann von der TU München sieht hier zwar keine Tendenz zum Organhandel, allerdings „ könnte sich dies durchaus ergeben“. Professor Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover fordert denn auch bei „Nachweis eine rückhaltlose Aufklärung“. Dem steht allerdings die ärztliche Schweigepflicht entgegen.
Auf Seiten der 1.400 „Entnahmekrankenhäuser“ ist die Motivation ebenfalls gesunken. Bis Ende 2003 waren die Pauschalen, die die DSO zahlte, nicht kostendeckend. Heiner Smit, Bevollmächtigter des DSO-Vorstandes, ist der Auffassung, dass „die Krankenhäuser noch nicht überall die Gemeinschaftsaufgabe verinnerlicht haben“ und fordert eine stärkere Dokumentationspflicht wie auch weitere Krankenhaus interne Orientierungsrichtlinien zur Handlungssicherheit im Organspendeprozess. Auffällig ist jedoch, dass sowohl im Vorstand wie im Stiftungsrat der DSO fast ausschließlich Ärzte aus den 50 Transplantationszentren sitzen.
Aus Kreisen des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen ist zu hören, dass Unikliniken kaum Hirntote melden. Kein Wunder: eine Organeinpflanzung bringt neben der wissenschaftlichen Reputation auch die Dankbarkeit der PatientInnen. Zudem sind für die Transplantationszentren Ende 2003 die Fallpauschalenpreise abgeschafft und durch die so genannten Disease Related Groups abgelöst worden. Das bedeutet für sie vorerst einen größeren Spielraum bei der Kostenabrechnung.
Auf der Seite der „Spender“-Kliniken hingegen sind eher vielfältige Belastungen zu verzeichnen. Vor einer stärkeren „Überwachung der Krankenhäuser“ warnt jedoch der Philosophieprofessor Jan P. Beckmann von der Fernuni Hagen. Das würde die „Zurückhaltung der Kliniken“ nur noch steigern, denn es existiere eine Angst vor dem Ruf einer Organentnahmeklinik.
Trotz dessen appelliert Smit mit Vehemenz an die BürgerInnen, „eine Entscheidung zu Lebzeiten“ zu treffen. Ein Selbstbestimmungsrecht sich mit den Todesfolgen und Bedürfnissen anderer kranker Menschen nicht zu befassen, wie es zum Beispiel Ulrike Riedel, Juristin und Mitglied in der Enquetekommission, formuliert, ist für ihn persönlich nicht nachvollziehbar.