: Auf den Hund gekommen
AUS AMSTERDAM ULRIKE HERRMANN
Durch die Platanen, über die Wiese, am Weiher entlang und an der Boulebahn vorbei: Mohammed B. rannte durch den Oosterpark, nachdem er den Filmemacher Theo van Gogh erschossen hatte. Am Ausgang Mauritskade wurde er dann von der Polizei gestellt. Seither kennt jeder Niederländer den Oosterpark in Amsterdam. Er ist immer für eine Geschichte gut.
Eine besonders finstere Story hat die populäre Zeitschrift HP/De Tijd zu bieten. Schon der Untertitel lässt keinen Zweifel aufkommen, was die Reportage beweisen soll: „Ziemlich viele Marokkaner freuen sich über den brutalen Mord an Theo van Gogh.“ Denn schließlich freuen die sich immer, wenn sie „weiße Niederländer“ ärgern können. Ganz besonders schwer haben es ältere Damen, die ihr Hündchen ausführen wollen. Eine Bewohnerin wird ausführlich in ihrem hilflosen Leid dargestellt: „Sie erzählt, dass sie oft beschimpft wird, wenn sie ihren Pudel im Oosterpark spazieren führt. ‚Für sie (die Marokkaner) ist es eben ein unreines Tier.‘ Sie erzählt, dass das Hündchen von einer anderen Frau, die sie aus dem Park kennt, schon ein paar Mal mit Steinen beworfen wurde. Und sie selbst lief kürzlich an ein paar marokkanischen Schülern vorbei, von denen einer ihrem Pudel einen harten Tritt gab. ‚Ich rief noch: Wenn ihr den Hund unrein findet, dann müsst ihr ihn in Ruhe lassen.‘“
Das klingt ungewöhnlich. Also auf in den Oosterpark. Und tatsächlich, gleich am Eingang steht schon der erste Araber. Allerdings ist er nicht damit beschäftigt, Steine nach kleinen Pudeln zu schmeißen. Stattdessen führt er selbst einen Hund aus – es dürfte das größte Tier im ganzen Viertel sein. Der Hund ist schlicht gigantisch.
Ob Muslime Hunde tatsächlich unrein finden? Gelassen rückt er seine modische Vierkantbrille zurecht. „Wer hat das denn gesagt?“ Die Frage ist gut, aber nicht zu beantworten. Aus irgendeinem Grund schien es HP/De Tijd ratsam, ihre Kronzeugen anonym zu halten. Aber Ali Nasri aus Tunesien, 25 Jahre alt und Student der Betriebswirtschaft, ist trotzdem so höflich, das Thema ernst zu nehmen. „Im Koran steht, dass man Tiere gut behandeln soll.“ Und was er hier habe, das sei übrigens ein ehemaliger Polizeihund. „Ein echter“, sagt er stolz.
Inzwischen regnet es, aber Hundeliebhaber scheinen abgehärtet. Um die Ecke sitzt eine weißhaarige Dame auf einer Bank; es ist eine „weiße“ Niederländerin, wie HP/De Tijd anmerken würde. Um sie herum tanzen zwei Hunde, die endlich ins Klischee der Steineopfer passen. „Lady“ und „Jimmy“ sind klein, zierlich, weiß und wissbegierig. Jeder Fremde wird erst mal angesprungen – mit Modderpfötchen.
„Wie bitte? Gesteinigte Hunde?“
Ob sie bereit wäre, eine vielleicht seltsame Frage zu beantworten? Sie nickt, ihr sorgfältiges Make-up betont die munteren, braunen Augen. Also, ob ihre Hunde schon mal gesteinigt wurden? – „Wie bitte?“ Nein, so etwas hat sie noch nie gehört. „Und ich kenne hier jeden Hundebesitzer.“ Schließlich bilden sie alle eine Bußgeldabwehrgemeinschaft gegen den Parkwächter. Wer ihn zuerst sieht, warnt die anderen, dass die Hunde wieder angeleint werden müssen.
Natürlich gebe es manchmal Probleme, räumt Hundebesitzerin Mieke van Westerloo ein. Ihr jüngster Sohn etwa, der war nur eines von zwei niederländischen Kindern in seiner Grundschulklasse. „In einer katholischen Schule“, fügt sie hinzu. Es muss gar nicht mehr ausgesprochen werden, dass dort dann keine marokkanischen Kinder saßen. Schon bald geriet der Sohn zwischen die Fronten. „Antillianer gegen Surinamer“, sagt sie so knapp, weil es hier so selbstverständlich ist. Am Ende blieb nur die Flucht; der Sohn wechselte auf die „weißeste Schule von ganz Amsterdam“ nicht weit vom Rijksmuseum.
Seit 30 Jahren lebt die sechsfache Mutter am Rande vom Oosterpark – und weil die Familie so groß war, bezogen sie eine Sozialwohnung. Also wohnen die van Westerloos vor allem mit Marokkanern zusammen. Ihre Kinder sind miteinander aufgewachsen, nie kam es zu größeren Konflikten.
Außer einmal. Vor acht Jahren. Da prügelte sich ihr jüngster Sohn mit seinem besten Freund Karim, Mieke van Westerloo versuchte die beiden kleinen Kinder zu trennen. Plötzlich tauchte eine Gruppe jugendlicher Marokkaner auf, die sie „noch nie gesehen hatte“. Sie solle Karim sofort loslassen, sie hätte kein Recht, ein marokkanisches Kind anzufassen. Sie wurde zu Boden geschubst und landete mit dem Kopf auf einer kleinen Mauer. „Aber das war nicht das Schlimmste“, sagt sie auch nach Jahren noch fassungslos. „Als ich da heulend lag, leerte einer seine halb volle Cola-Flasche über mich aus. Ganz langsam.“ Sie macht die Bewegung nach, lässt den rechten Arm über den Boden schwingen. „Es war, als würde er Pisse über mich gießen“, sagt sie, „und so war es bestimmt auch gedacht.“ Es scheint die Mutter zu befreien, dass sie vor dem Fäkalwort nicht zurückschreckt.
Und doch ist es ihr unangenehm, dass sie es nun erzählt hat. Es ist passiert, ja, aber es wird so viel größer als es ist, sobald es in der Zeitung steht. Sonst jedenfalls hatte sie noch nie Probleme mit marokkanischen Jugendgangs. Das muss jeder erstaunlich finden, der HP/De Tijd gelesen hat. Denn dort kommt sehr ausführlich auch der Eigentümer eines „Spezialitätengeschäfts“ zu Wort: „Ich kenne eine Frau mit einer Wohnung am Oosterpark, die sah, wie zwei marokkanische Jüngelchen ein Fahrrad knacken wollten. Sie öffnete ihr Fenster und rief etwas. Am nächsten Tag waren ihre Scheiben eingeschmissen, und die von ihren Nachbarn auch. Denn sie wussten natürlich nicht mehr, welche Wohnung sie genau treffen mussten. Nachdem die Fenster repariert waren, wurden die Scheiben wieder eingeschmissen. So ging das eine Woche.“
Ein Fall für die Polizei, eindeutig. Die Wache am Oosterpark sieht gemütlich aus mit ihren Grünpflanzen im Warteraum. Ein Surinamer und ein marokkanisches Pärchen geben gerade Anzeigen auf. Irgendetwas mit einem Auto. Plötzlich sieht der grauhaarige Beamte hoffnungsvoll hoch, S. Fischer steht auf seinem Namensschild: „Ist es eine einfache Frage? Dann dürfen Sie vor.“
Massenhaft kaputte Fenster?
Also gut: „Kam es hier kürzlich zu einer Massenzerstörung von Fenstern? Durch marokkanische Jugendliche?“ Das marokkanische Pärchen guckt pikiert. Ratlos studiert S. Fischer den Artikel. „Da steht nirgends eine Adresse oder ein Name“, beschwert er sich. „So finden wir das nie im Computer.“ Auch zehn Minuten Recherche bleiben ergebnislos, obwohl sich noch zwei Kollegen um den Fall bemühen. Zu dritt sind sie sich einig, noch nie von so einer Fensterzerstörung gehört zu haben. „Wir sind hier ein ganz ruhiges Quartier“, versichern sie, „nicht wie das Diamantenviertel.“ Die Diamantenbuurt in Amsterdam. Noch so ein Ort, den inzwischen jeder Niederländer kennt. Denn hier wohnten Bert und Marja. Bis Oktober, dann flohen sie. Monatelang hatten die Medien berichtet, wie das Ehepaar von marokkanischen Jugendlichen verbal belästigt wurde. Zum Schluss warf die Gang das Wohnzimmerfenster ein.
Eine ganze Nation nahm Anteil. Der rechte Abgeordnete Geert Wilders stellte gar eine kleine Anfrage im Parlament: „Stimmt es, dass das Ehepaar nach monatelanger Einschüchterung von der Polizei aufgefordert wurde, ihr Haus zu verlassen und es mit Holzbrettern zu vernageln?“ Nüchterne Antwort des Innenministers: „Wie üblich wurde der Fensterschaden so schnell wie möglich repariert. Auf Bitten des Ehepaars, das lieber nicht mehr in der Wohnung bleiben wollte, wurden dann auch die anderen Fenster mit Holzbrettern versehen.“
„Was soll hier los sein?“
Dabei sieht die Diamantenbuurt so dörflich aus. Es sind nur ein paar Straßen im „alten Süden“. Die dreistöckigen Backsteinhäuser haben sechseckige Treppenhäuser und fünfeckige Erker. Nebenan fließt die Amstel, auf der die Hausboote schaukeln. Wie die Klingelschilder verraten, waren Bert und Marja nicht die einzigen eingeborenen Niederländer im Viertel.
Ein paar marokkanische Frauen schleppen ihre Einkäufe nach Hause; sie alle tragen tiefe, weite Kopftücher. Ansonsten sind im Nieselregen nur noch drei Jugendliche in roten Jacken zu erkennen. „South Watch“ steht auf ihren Rücken. Sie selbst waren auch mal gefährdete Teenager, jetzt sollen sie durchs Viertel patrouillieren. Der Sozialfonds der Europäischen Union finanziert ihre Sechsmonatsstellen. „Es ist aber nichts los“, sagen sie, und klingen fast enttäuscht.
So richtig überrascht sind sie jedoch nicht. Schließlich stammen sie von hier – und daher wissen sie nur zu gut, wie langweilig die Diamantenbuurt sein kann. Also bummeln sie zurück über die Straßen ins warme Jugendzentrum. „Die Berichte waren total aufgeblasen“, findet dort auch ihr Projektleiter Edu Dijkman. Natürlich gebe es Problemjugendliche, räumt er ein. Trotzdem war die ganze Aufregung um die Diamantenbuurt, und dann benutzt der gemütliche Mann ein ganz hartes deutsches Wort, „es war Muslimhetze“.