: Giraffen auf dem Vulkan
Das ostafrikanische Kenia verfügt über das größte geothermische Potenzial des Kontinents. Im März wurde das größte und leistungsstärkste Kraftwerk Afrikas für Geothermie eingeweiht. Das Potenzial dürfte bei rund 3.000 Megawatt liegen
VON ANJA BENGELSTORFF
Das Tor zur Hölle ist paradiesisch: Giraffen und Zebras grasen zwischen niedrigen Büschen, Adler und Geier kreisen über Schirmakazien. Der Dampf, der im Hell’s-Gate-Nationalpark in Zentralkenia an manchen Stellen aus der Erde steigt und dem Park seinen Namen gab, hat ungewöhnliche Nachbarn angezogen. Hinter der nächsten Erhebung erstreckt sich die Station: ein Transformatorenfeld, die Turbinenhalle mit den angeschlossenen Generatoren, dahinter die acht Kühltürme. Olkaria II ist Afrikas größtes und modernstes, mit japanischer Technologie auf dem Stand von 1999 errichtetes Geothermiekraftwerk, das 70 Megawatt (MW) Energie erzeugt. Doch es ist nicht das erste seiner Art in Kenia.
Im Großen Grabenbruch Ostafrikas, im Rift Valley, haben britische Siedler bereits 1956 Oberflächenbohrungen angestellt. Zehn Jahre später führte das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) zusammen mit der kenianischen Regierung erste geologische und geophysikalische Untersuchungen durch, 1971 wurde die erste Bohrung getätigt. Das Feld um Olkaria versprach das höchste Potenzial – und 1981 nahm Olkaria I mit einer 15-MW-Anlage die Arbeit auf. Dieses erste Geothermiekraftwerk Afrikas wurde bis 1985 mit zwei weiteren 15-MW-Einheiten ausgestattet.
Geothermische Systeme entstehen, wenn sich, wie im afrikanischen Grabenbruch, durch Bewegungen von Schichten unter der Erdoberfläche Spalten bilden, durch die sich heißes Magma aus dem Erdinneren in Richtung Erdoberfläche bewegt. Wenn das flüssige Magma in Kammern eingeschlossen wird und sich verfestigt, bevor es die Oberfläche erreicht, gibt es starke Hitze an das Grundwasser und umliegende Gesteinsschichten ab. Abhängig von der Tiefe und damit dem Druck im Inneren der Erde kann sich das Wasser mehrere hundert Grad aufheizen und Dampf bilden. Diese Temperaturen können durch Bohrungen in das geothermische Reservoir ausgenutzt werden. Heißes Wasser und Dampf dringen an die Oberfläche, wo sie, wie im Kraftwerk von Olkaria II, voneinander getrennt werden.
Das Wasser-Dampf-Gemisch erreicht an dieser Stelle Temperaturen von 341 Grad Celsius. Das Wasser wird durch andere Bohrlöcher in die Erde zurückgepumpt und der trockene Dampf zu den beiden Dampfturbinen geleitet, die mit Generatoren zur Energieerzeugung verbunden sind. Transformatoren wandeln den Strom in 220 Kilovolt um. So gelangt er in das Stromnetz.
Der Geophysiker Silas Simiyu ist beim Olkaria-II-Betreiber „Kenya Electricity Generating Company“ (KenGen) als Manager für Geothermie-Entwicklung zuständig. An einem Brunnen ist leise das Rauschen des aus der Tiefe aufsteigenden Wassers zu hören. Auf dieses Geräusch hat er lange warten müssen. „Eigentlich waren alle Bohrungen schon 1993 abgeschlossen. Da aber die Weltbank 1991 die Finanzierung ihrer Projekte in Kenia eingestellt hatte, konnte der Bau erst 2000 beginnen. Letztlich ist das sogar ein Vorteil: Wir konnten neueste Technologie verwenden und von 64 auf 70 Megawatt aufstocken“, freut sich Simiyu.
Einem Entwicklungsland wie Kenia fehlen die Ressourcen, um in die teure Erschließung von Erdwärmefeldern zu investieren. Eine einzige Bohrung dauert drei Monate und verschlingt rund 1,5 Millionen Dollar – und niemand weiß, wie ergiebig die Quelle sein mag, oder ob sie überhaupt nutzbar ist. KenGen wird Olkaria I bis 2012 mit finanzieller Hilfe der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) auf 70 Megawatt aufstocken. Die Regierung will bis 2019 weitere 576 MW Erdwärmestrom dem Netz zuführen. „Ein Anteil von 40 Prozent Erdwärme an der gesamten Energieerzeugung Kenias ist leicht möglich“, sagt Simiyu. „Sogar 70 Prozent sind realistisch.“
Kenia besitzt 1.200 Megawatt installierte Kraftwerksleistung. Mit etwa 60 Prozent ist Wasserkraft die wichtigste Energiequelle des Landes – die aber bei ausbleibendem Regen versagen kann. Verlässlicher dagegen ist Geothermie, deren Anteil von zehn Prozent an der Gesamtkapazität des Landes von drei Stationen produziert wird. Zwei davon, Olkaria I und II, gehören dem staatseigenen KenGen. „Das geothermische Potenzial ist viel höher als die derzeitige Produktion“, versichert Silas Simiyu. „Vorsichtig geschätzt können wir im kenianischen Rift Valley 2.000 Megawatt produzieren. Würden leistungsfähigere Umwandlungssysteme verwendet, könnten wir sogar 3.000 Megawatt erzeugen.“ Doch bisher ist die Nachfrage gering: Nur 15 Prozent der 32 Millionen Kenianer haben Zugang zum öffentlichen Stromnetz, maximal werden 1.000 Megawatt nachgefragt. Doch nach Plänen der Regierung soll das nationale Leitungsnetz ausgebaut werden.
Wenn es um die Rentabilität seines Kraftwerks geht, wird Simiyu nachdenklich: „Wir sind ein staatliches Unternehmen. Unser einziger Abnehmer ist der einzige Stromverteiler in Kenia, die Kenya Power and Lighting Company, die ebenfalls dem Staat gehört. Wir produzieren für 3 US-Cent pro Kilowattstunde, verkaufen aber zu 2 US-Cent. Die Differenz muss die Regierung ausgleichen. Auf dem Weltmarkt kostet die Kilowattstunde 8 Cent.“ Im nächsten Jahr soll KenGen privatisiert werden. Das Parlament hat schon zugestimmt.
Olkaria I war schon in Betrieb, als Hell’s Gate 1984 zum Nationalpark erklärt wurde. Silas Simiyu erklärt das scheinbare Paradox: „Die Erdwärmeförderung hat das Klima in dem Gebiet verändert. Häufigere Regenfälle haben die Vegetation angeregt, mehr Grün hat Tiere angezogen. Wir haben beim Bau darauf geachtet, dass die Rohre die Routen der Tiere nicht behindern.“ Auch mit den Chemikalien kommen weder Tiere noch Pflanzen in Berührung. Zwischen Fauna und Flora in Hell’s Gate sowie seinen Gästen von KenGen scheint also Einvernehmen zu herrschen.