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: Wer stirbt als Nächster?

Auf den Philippinen haben Hollywoodproduktionen das asiatische Kino verdrängt. Mit einer Ausnahme: Horrorfilme

Als der tote Wachmann wieder aufsteht, bricht das Kinopublikum kollektiv in wohlig-entsetztes Brüllen aus. Der Schrei klingt, als käme er aus einer einzigen Kehle. Bei anderen Filmen werden im Kino auf den Philippinen gerne Telefonate geführt, und in den hinteren Reihen suchen schweigende Schwule mit Blicken nach Sexualpartnern. Nicht bei einem guten Horrorfilm. Hier sitzt das gesamte Publikum kollektiv auf der Kante des Kinosessels und guckt zwischen den Fingern durch, ob vielleicht gleich wieder die geheimnisvolle, weiß gekleidete Chinesin vor dem Fenster erscheint.

Das gespannte Schweigen wird nur vom leisen, kontinuierlichen Piepsen der Handys unterbrochen. Viele Zuschauer verbringen den ganzen Film damit, sich ununterbrochen zu simsen. Ist der Geist schon im Haus? Was ist das da für ein Schatten an der Wand? Wer stirbt als Nächster? So geht es hin und her, bis sich die aufgestaute Spannung wieder in einem Schrei entlädt.

Bei dem neuen philippinischen Film „Feng Shui“ gibt es viel zu schreien und viel zu simsen. Hauptdarstellerin Kris Aquino – die Tochter der früheren Präsidentin Cory Aquino – findet einen chinesischen Spiegel im Bus. Als sie ihn in ihrem Haus aufhängt, wird sie zwar plötzlich befördert und gewinnt beim Preisausschreiben. Aber dafür bricht in ihrem Bekanntenkreis ein rätselhaftes Massensterben aus, und dauernd liegen Leichen in der Nachbarschaft herum. Der Spirit, der in dem Spiegel wohnt, fordert seine Opfer.

Die Filmdistributionskanäle auf den Philippinen sind fest in den Händen von Hollywood. Asiatisches Kino bekommt man leichter in Deutschland als auf den Philippinen zu sehen. Mit der Ausnahme von Horrorfilmen – einem Genre, das sich in der gesamten Region wachsender Beliebtheit erfreut. Untertitelt in Kantonesisch und einem eigenartigen Englisch („You wrong me, you hoaxer!“), erfreuen Produktionen aus Hongkong, Korea und Thailand auch auf den Philippinen das Herz des Liebhabers fortgeschrittenen Kinotrashs.

Besonders Hexenfilme werden in ganz Asien immer populärer. Nach einer letzten Monat veröffentlichten Umfrage glauben 70 Prozent aller Asiaten unter 35 an Hexen, zwischen den einzelnen Ländern der Region gibt es nur geringe Abweichungen. Bei den über 50-Jährigen sind es interessanterweise nur 20 Prozent. Aber es sind nicht nur junge Leute, die in ausverkauften Kinos sitzen, um sich bei Filmen wie „Feng Shui“ die Seele aus dem Leib zu schreien. Familienclans mit Popcorneimern auf dem Schoß füllen ganze Reihen und warten auf den nächsten Ghoul.

Amerikanische Horrorfilme werden für Teenager gemacht. „Feng Shui“ ist dagegen ein Geisterfilm für die ganze Familie. Während im US-Horror die Hauptdarsteller meist Scream-Queens unter 20 sind, ist Kris Aquino eine beleibte Hausfrau und Mutter, die immer eine Tüte mit Lebensmitteln unter dem Arm zu haben scheint. Mit Blut geht der Film sparsam um, der schlimmste ist der angedeutete Grusel.

Die Philippinen sind das einzige katholische Land in Asien, aber das Christentum ist hier eine seltsame Verbindung mit Wundergläubigkeit und uralten animistischen Vorstellungen eingegangen. Viele Filipinos wagen es nicht, Termitennester im Garten zu entfernen – der Geist, der in ihnen wohnt, könnte es übel nehmen. Auch in „Feng Shui“ weiß Kris Aquino gleich, was zu tun ist, als sie eine Gehaltserhöhung bekommt. Am Abend stellt sie vor den Geisterspiegel ein Glas Milch und ein paar Sardinen.

Meist sind die Geister des asiatischen Horrorfilms weiblich. Wenn sie in der Nacht katatonisch in der Ecke sitzen und vor sich hin murmeln, büßen sie in der Regel für Frauensünden: Sie haben abgetrieben oder ihr Kind ermordet. In dem brillanten „Bangkok Haunted 2“ wird eine Frau von einer Toten terrorisiert, die ihr verstorbenes Kind in einer Tiefgarage eingemauert hat. Erst als das Kind nach buddhistischem Ritus begraben ist, verschwindet das Phantom. Vorher sitzt die Tote auf einmal neben der Hauptdarstellerin in der Badewanne oder steht im Regen plötzlich hinter ihr. Und das ganze Kino brüllt wie aus einer Kehle. TILMAN BAUMGÄRTEL