: Künast zieht gegen Dickmacher zu Felde
Hersteller von Kinderriegeln oder Softdrinks weigern sich, das Fett zu reduzieren oder die Portionen zu verkleinern
MÜNCHEN taz ■ Verbraucherministerin Renate Künast drängt die Hersteller von Softdrinks, Kinderriegeln und Co., mehr Verantwortung zu beweisen. „Jedes fünfte Kind und einer von drei Jugendlichen ist in Deutschland zu dick, und dennoch will die Lebensmittelindustrie den Anteil dickmachender Zutaten in Fertigprodukten nicht verringern“, klagte die Ministerin gestern in einem Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk (WDR).
Seit Monaten ist die Ministerin mit der Industrie im Gespräch – und es geht nicht voran. Die Regierung fordert, dass Kinderlebensmittel künftig weniger Fett, Zucker und Salz enthalten sollen. Die Hersteller müssten die Portionen verkleinern, außerdem sollen sie die Kennzeichnung verbessern und die Werbung „ehrlicher“ gestalten. Nach Künasts Ansicht suggeriert die Branche mit ihrer Werbung, dass die Produkte die Gesundheit förderten – etwa mit dem Verweis auf „Extraportionen“ von Inhaltsstoffen. „In Wahrheit nehmen die Kinder eine Extraportion Fett zu sich“, so die Ministerin.
Dass schon Kinder mit zu vielen Pfunden durchs Leben gehen, hat gravierende Folgen. Dicke Kinder werden später nicht nur verfettete Gefäße und zu viel Zucker im Blut haben, sie leiden auch besonders unter Minderwertigkeitskomplexen und Depressionen – laut einer Studie ähnlich wie krebskranke Kinder während ihrer Behandlungsphase. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft sind ein weiterer Grund, dem Problem endlich zu Leibe zu rücken. „Rund ein Drittel der Krankenkassenausgaben gehen bereits auf Erkrankungen zurück, die durch falsche Ernährung ausgelöst werden.“
Die neuesten Entwicklungen in den USA gaben Künast Rückenwind im Kampf gegen die Fettleibigkeit bei Kindern. Dort hatten sich Fast-Food-Riesen wie McDonald’s und Kraft vor kurzem verpflichtet, ihre Produkte mit weniger Fett und Zucker herzustellen. Hintergrund ist allerdings das US-Rechtssystem, das Sammelklagen von fettleibigen Konsumenten den Weg ebnet und die Industrie um einige Millionen Dollar erleichtern dürfte – vorausgesetzt, der Big Mäc bleibt eine Fett- und Kalorienbombe. Bei uns haben solche Klagen dagegen keine Aussicht auf Erfolg. Darum sieht sich die hiesige Industrie auch nicht gezwungen, gesunde Lebensmittel zu produzieren. Ein Imagewandel scheint nicht notwendig.
Die Ministerin hat zudem darauf hingewiesen, dass Fettleibigkeit ein vielschichtiges Problem ist. Sie will daher nicht nur die Lebensmittelindustrie auf ihre Seite ziehen, sondern macht sich auch Gedanken, wie man an die Familien herankommt. Besonders an Kinder, die noch nicht zur Schule gehen. Denn bereits in jüngsten Jahren lernt ein Kind durch Beobachtung und Nachahmung das Essverhalten bei seinen Eltern oder im Kindergarten. „Das Verbraucherministerium hat in den vergangenen zwei Jahren über 200 Fortbildungsveranstaltungen für Erzieherinnen gemacht – zur richtigen Ernährung und für mehr Bewegung“, betonte die Ministerin. Unter Adipositas (Fettsucht) leiden nach neuesten Zahlen vor allem Mädchen aus Ausländerfamilien oder aus armen Verhältnissen in Ostdeutschland. Die Zahl der übergewichtigen Kinder hat sich von 1975 bis 1995 insgesamt verdoppelt. Gleichzeitig machen immer mehr Kinder Diäten und schlucken Schlankheitspillen. Die Folge: Essstörungen.
Nicht nur die Regierung macht sich Sorgen um die Gesundheit der Kleinsten. Kinderärzte, Ernährungsberater und Sporttherapeuten haben sich beispielsweise in einem Präventionsprogramm namens „Moby Dick“ zusammengetan. In Sport- und Kochkursen sollen übergewichtige Kinder merken, dass Sport Spaß machen kann und dass Apfelschorle besser schmecken kann als Cola. 20 Euro monatlich zahlen die Eltern für solch ein Gesundheitstraining. Den Rest der Kosten übernehmen in der Regel die Krankenkassen. Initiativen wie diese bleiben allerdings bisher nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
KATHRIN BURGER