UKRAINE: DER NEUE PRÄSIDENT HAT SEIN AMT GESTOHLEN
: Wahlsieger ist die Dreistigkeit

Nicht nur Wiktor Janukowitsch hat bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen gesiegt, sondern auch die Dreistigkeit. Dabei sind die Methoden, mit denen der Kandidat der Staatsmacht zu seinem knappen Wahlerfolg gefälscht wurde, an Plumpheit und Einfallslosigkeit kaum zu überbieten und werden nur noch vom Nachbarn Weißrussland getoppt. Mit diesem – leider nicht überraschenden – Ergebnis dokumentieren die ukrainischen Machthaber vor allem eins: dass sie einen demokratisch legitimierten Machtwechsel nicht zulassen wollen.

Entscheidend ist nun, ob die Opposition in der Lage sein wird, ebendiesen Machtwechsel zu erzwingen und sich den gestohlenen Sieg ihres Kandidaten Wiktor Juschtschenko zurückzuholen. Das Potenzial dafür – anders als noch nach den Parlamentswahlen vor zwei Jahren – hat sie genauso wie erfolgreiche Vorbilder. Auch in Serbien und Georgien führten massive Wahlfälschungen zu Massenprotesten und schließlich zum Sturz der verhassten Regimes. Und es ist kein Zufall, dass eine der aktivsten Gruppen innerhalb der ukrainischen Opposition, die Jugendbewegung Pora, vor allem von dem serbischen und georgischen Beispiel inspiriert sind.

Zugleich geht es in der Ukraine um weit mehr als die Anerkennung des arrogant ignorierten Wählerwillens. Es geht vor allem um die existenzielle Frage, ob das Land für die nächsten Jahre vollends im Dunstkreis Russlands verschwindet oder sich endlich auf den Weg nach Westen macht. Diesen Umstand sollte auch einmal die Europäische Union zur Kenntnis nehmen. Doch die glänzt gegenüber dem zweitgrößten Staat in Europa bislang vor allem durch Ignoranz und Konzeptlosigkeit, schielt dafür aber umso mehr auf lohnende Absatzmärkte und billige Arbeitskräfte.

Diesen Kurs so fortzuführen hieße, die Ukraine abzuschreiben. Das kann niemand in West- und Mitteleuropa ernsthaft wollen. Darum braucht es jetzt vonseiten der EU vorrangig eins: Hilfe für Projekte und Unterstützung der Menschen in der Ukraine, allen voran derjenigen, die für eine Demokratisierung und Westorientierung des Landes eintreten. Viel Zeit bleibt nicht. BARBARA OERTEL