piwik no script img

Archiv-Artikel

Superheld schlägt Adolf

Trash, Comic, Horror, Varieté – alles drin: Ex-Underground-Regisseur Jörg Buttgereit hat sein Bühnenstück „Captain Berlin versus Hitler“ verfilmt

Früher hatte man bei seinen Filmpremieren das Publikum gern etwas kokett darauf hingewiesen, dass die Toiletten gleich beim Eingang sind. Mittlerweile und viele Jahre später sind Jörg Buttgereit und seine trashigen Helden in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Die umjubelte Premiere seines schönen Bühnenstücks „Captain Berlin versus Hitler“ hatte vor zwei Jahren jedenfalls im HAU-Theater gegenüber der SPD-Zentrale stattgefunden und ging zurück auf ein Hörspiel, das der nunmehr 46-jährige Autor, Plattenaufleger, Film- und Fernsehregisseur und -kritiker 2006 für den WDR produziert hatte.

Das Hörspiel wiederum variiert die Thematik von Buttgereits zehnminütiger Actionkomödie „Captain Berlin“ von 1982, bei der auch Bela B. von den Ärzten mitgewirkt hatte. Buttgereits Frühfilmchen wiederum ist stark geprägt von den „Captain America“-Comics, die ab 1941 den Kampf der Amerikaner gegen Nazideutschland unterstützen sollten. Nun hat „Butti“ sein Theaterstück verfilmt.

Aber eigentlich ist „Captain Berlin versus Hitler“ kein eigenständiger Film, sondern es standen wohl einmal, als das Stück aufgeführt wurde, auch Kameras im Aufführungssaal, die alles mitgeschnitten hatten. Daraus hat Buttgereit einen Film gezimmert. Das Theaterstück ergänzend gibt es: retromäßige Auf- und Abblenden, Kratzer auf dem oft so sepiamäßig eingefärbten Filmmaterial, unterschiedliche Kameraperspektiven, da und dort auch Close-ups von den Gesichtern (was bei Adolfo Assor sehr toll ist, weil der Schauspieler ein so schönes Mienenspiel hat) und vor allem viele schöne Sprechblasen.

Die Handlung spielt am 3. Oktober 1973, einem kühlen Mittwoch, dem Tag, als Willi Stoph auf Vorschlag des ZK der SED zum Vorsitzenden des Staatsrates der DDR ernannt wurde und der Wuppertaler SV den polnischen Fußballclub KS Ruch Chorzów mit 5:4 bezwang. (Exakt 17 Jahre später trat die DDR der BRD bei. Ist das Zufall?) Die comichaft, mit viel Liebe zum korrekten Zitat und weitreichenden Anspielungen wie ein trashvarietémäßiges Kasperlestück inszenierte Geschichte ist schnell erzählt: Widerständige Wissenschaftler im Untergrund schufen in den 30er-Jahren Captain Berlin, einen deutschen Superhelden, der den wahnsinnigen Diktator Hitler umbringen sollte. Dies misslang. Doch auch der Versuch Hitlers, sich das Leben zu nehmen, ging daneben. Das glubschäugige Hirn des Diktators wurde von dessen tüchtiger Leibärztin Ilse von Blitzen konserviert. Endlich ist es ihr gelungen, Wege zu finden, dem Hirn einen neuen Körper zu geben.

Behilflich soll ihr dabei Dracula, das Kommunistenmonster aus der verbotenen Zone, sein. Captain Berlin lebt auch noch und ist in seiner Freizeit ein linker Journalist. Seine hübsche Tochter, Pater Brown, ein frankensteinmäßiges Monster namens Germanicus (Jörg Buttgereit) spielen auch eine Rolle. Viel geschieht und am Ende gibt es einen schönen Showdown, bei dem Hitlers Hirn wie ein ekliger Ball hin und her geworfen wird. Dies alles ist sehr comichaft inszeniert. Man spürt die Freude, mit der die Schauspieler so völlig überzeichnet agieren. Adolfo Assor, den man aus existenziell-melancholischen Inszenierungen kennt, zeigt einen Humor, den man ihm nicht zugetraut hatte; barbarellamäßig gibt sich die Unschuld; eher streng, sexy und hysterisch Ilse von Blitzen.

Die Ausstattung ist prima. Als Horrorfilmfreund ist man ganz begeistert, wenn Gedärme aus buntem Papier einem Zombie aus dem Bauch quellen. Alles wirkt manchmal, als käme es aus dem Kopf eines amerikanischen Trashfilmers und Comics verfallenen Teenagers, das mit den Mitteln eines längst erfahrenen Regisseurs inszeniert wurde.

Wer das Stück nicht gesehen hat, sollte sich den Film unbedingt angucken. DETLEF KUHLBRODT

Premiere am 24. April, 22 Uhr im Kino Central mit Jörg Buttgereit, Rosenthaler Str. 39