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Archiv-Artikel

Die große Mär vom Bär

TRENDUNKRÄUTER Er tummelt sich im Käse, in der Butter und in der Nudel: Gibt es noch ein Leben ohne den Bärlauch?

Die Bärlauch-Mania

Johann Wolfgang von Goethe mochte seinen Spargelsalat angeblich am liebsten mit Bärlauch-Kresse-Vinaigrette: Zubereitet wird sie aus Essig, Wein, den gehackten Kräutern Kresse, Bärlauch und Zitronenmelisse und reichlich Öl. Diese Salatsauce wird anschließend nach Geschmack mit Salz, weißem Pfeffer, geriebener Muskatnuss und mit ein wenig Zucker gewürzt.

■ Ein Bärlauch-Sammler aus Neufahrn bei Freising ist letzte Woche an den Folgen einer Vergiftung mit Blättern der Herbstzeitlosen gestorben. Er hatte die giftige Pflanze mit dem ihr sehr ähnlich sehenden Bärlauch verwechselt und in großen Mengen verzehrt, anschließend wurde er mit Brennen im Hals, Übelkeit und Durchfall ins Krankenhaus eingeliefert. Einen Tag später war er tot: Multiorganversagen.

■ Der richtige Zeitpunkt, Bärlauch zu sammeln? Vor der Walpurgisnacht, also in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai. Angeblich ziehen die Hexen in dieser Nacht durch die Wälder und rauben den Pflanzen ihre Heilkraft. Der Legende nach haben sie dabei besonders den Bärlauch im Auge, da dieser als Mittel gegen Hexenangriffe wirkt. Also ran an das Kraut!

VON TILL EHRLICH

Es war einmal ein wildes Kraut, das uralt ist, von einer bösen Fee verwunschen wurde und deshalb heute vom Aussterben bedroht ist …“ Jede erfolgreiche Marketing-Geschichte beginnt wie ein Märchen. An dieser Stelle kommt der Genusshandwerker, quasi als moderner Hans im Glück, ins Spiel, der „selbstlos“ und „uneigennützig“ das verlorene Kraut wiedererweckt, hochpäppelt, aufwertet und in den ökonomischen Kreislauf zurückführt. Dabei beruft er sich meist auf „die Griechen“, „die Römer“, „die Kelten“ oder neuerdings gar „Germanen“, die das Kraut schon kannten und als Delikatesse und Heilmittel schätzten, weil sie sich ja noch – im Gegensatz zu uns – „ganzheitlich“ ernährt hätten.

Hier taucht dann die Figur des weisen bärtigen Ratgebers aus „Tausendundeiner Nacht“ auf; die spielt heute ein Ernährungsberater, der dem Kraut erstaunliche gesundheitsfördernde Eigenschaften bescheinigt. Somit sind die wichtigsten Zutaten zusammen: Es muss selten, ökologisch, nachhaltig, gesund und wissenschaftlich abgesegnet sein. Dabei fällt dem Anschein des Wissenschaftlichen eine zentrale Rolle zu. Qualität ist in dieser Logik etwas, was „vom Institut“ überwacht und beglaubigt ist und so in einen rational abgesicherten Kontext gestellt wird.

Moderne Ernährungsberatung gleicht einer Wundertüte – und ist die zeitgemäße Ersatzreligion schlechthin. Ihr Heilsversprechen ist das ewige und glückliche Leben, ohne dass man sich dafür anstrengen müsste. Es genügt, „richtig“ zu konsumieren; die Passivität wird zur Passion.

Keusches Kraut?

Jetzt kommen die Fernsehköche ins Spiel, die in irgendeiner sinnfreien Kochshow aus dem keuschen Kraut sinnliche Genüsse zaubern und dabei brav wiederkäuen, dass das Wunderkraut „sehr gesund“ sei, tonnenweise „freie Radikale“ einfange, Vitamin C enthalte und selbstverständlich gegen Krebs, Impotenz, Demenz und alles gut sei, wovor wir uns ängstigen. Die Promi-Köche bringen natürlich weitere Multiplikatoren ins Spiel, darunter auch als „Journalisten“ oder „Experten“ getarnte Propagandisten, die die Kunde vom wundertätigen Kraut in alle möglichen Kanäle, Blogs und Webseiten drücken.

Nun gewinnt die Sache an Fahrt, jetzt kommt der willige und informierte Konsument dazu, der zwar oft überernährt, aber stets erlebnishungrig ist. Inzwischen berät der Genusshandwerker längst Industrie und Handelskonzerne, und eines schönen Tages laufen wir durch den Supermarkt, finden das dämliche Unkraut in jedem Regal wieder und reiben uns die Augen: Es gibt Bärlauch-Brot, Bärlauch-Nudeln, Bärlauch-Butter, Bärlauch-Käse, Bärlauch-Frühlingsquark, Bärlauch-Senf, Bärlauch-Brotaufstrich, Bärlauch-Pesto, Bärlauch-Tee, Bärlauch-Tropfen und Bärlauch-Pillen, Bärlauch-Kuren und es gibt die Bärlauch-Wochen in der Bärlauch-Hauptstadt Eberbach am Neckar.

Am Ende taucht wieder ein Ernährungsberater mit Bart auf, diesmal ein „kritischer“ und „unabhängiger“ Typ wie etwa Udo Pollmer, der plötzlich meint: alles Halbwahrheiten und Fehlinterpretationen, das Kraut sei nicht viel gesünder als andere Kräuter auch. Nur teurer, weil man den Hype mitbezahlt. Doch wenn es gut läuft, hat sich die Sache längst verselbständigt.

Bärlauch war bis Ende der Neunziger ein relativ unbekanntes Gewächs, das kaum in Kochbüchern oder Lexika zu finden war. Das Liliengewächs mit der Knoblauchfahne liebt den Halbschatten und feuchte Gebiete, hat diverse Namen wie Waldknoblauch, Hundsknofel, Hexenkraut, Zigeunerlachkraut, Rampen, Ramsel, Ramsenwurz oder Ramsen. Die Bezeichnung „Bärlauch“ ist Teil der Legende, wonach angeblich Bären das Kraut gefressen haben sollen, nachdem sie aus dem Winterschlaf erwacht waren. Bärenkräfte und Frühlingserwachen – das wird suggeriert.

Noch stärker dürfte den Trend das Gerücht befeuert haben, dass Bärlauch unter Naturschutz stünde, weil hier der Reiz des Verbotenen mit der Fantasie des vom Aussterben bedrohten Krautes zusammenfällt. Natürlich steht Bärlauch unter Naturschutz: nämlich dann, wenn er in einem Naturschutzgebiet wächst, wie alle dort vorkommenden Pflanzen auch.

Eines Tages laufen wir durch den Supermarkt und finden das dämliche Unkraut in jedem Regal

Doch Bärlauch wächst eben auch anderswo, ist alles andere als selten und besonders im nördlichen Europa weit verbreitet. Zudem wird er massenhaft angebaut. Allium ursinum latifolium stand nie auf einer Liste bedrohter Pflanzen. Trotzdem hält sich die Legende, dass es ein rares und bedrohtes Wildkraut aus dem deutschen Wald sei. Das hält den Preis hoch (100 Gramm kosten zwei bis drei Euro). Hilfreich ist hierbei auch, dass die „vitaminreiche Köstlichkeit aus der Natur“ eine Saisonware ist, die es „nur für kurze Zeit gibt“. Obwohl ich niemanden kenne, der jemals Bärlauch in freier Wildbahn gepflückt hat oder dies vorhat, gibt es keinen Ratgeber, der nicht vor der akuten Verwechslungsgefahr mit giftigen Maiglöckchen oder Herbstzeitlosen warnt. Hinzu kommt der Hinweis, dass im Wald der Bärlauch häufig mit dem Fuchsbandwurm infiziert sei. Da kauft man lieber gleich im Supermarkt das überteuerte Grünzeug ein.

Dezente Schärfe

Bärlauch schmeckt am besten frisch und ungegart, wobei die Blätter klein und zart sein sollten. Das frische Kraut hat ein ausgeprägtes Knoblaucharoma, wenn die Kühe davon fressen, nimmt die Milch den Geschmack an. Wenn man Bärlauch erhitzt, verflüchtigt sich das Aroma weitgehend. Zudem geht das Vitamin C beim Kochen verloren. Interessant schmeckt die dezente lauchartige Schärfe, die nicht so brennend ist wie bei Zwiebellauch. Getrockneter Bärlauch ist in der Regel geschmacksneutral.

Außer seiner flüchtigen Knoblaucharomatik hat Bärlauch im Gegensatz zu Knoblauch geschmacklich wenig zu bieten, weshalb ihn die Spitzenköche längst wieder haben fallen lassen. Das ebenfalls tot gerittene Basilikum ist geschmacklich immerhin komplexer. Am interessantesten schmeckt Bärlauch, wenn man daraus Pesto selbst herstellt. Auch einige dünne Bärlauchstreifen im Salat, Quark oder mit Avocado vermischt sind lecker. Das Kraut lebt von seiner grünen Farbe, die symbolisch für Hoffnung steht. Worauf man eigentlich hofft, bleibt am Ende offen.