: Ostler zittern um ihren Vorteil
GEBÜHRENFREIHEIT Am Mittwoch prüft das Bundesverwaltungsgericht, ob Studiengebühren rechtens sind. Wer siegt im Kampf um Bezahlunis?
■ Die Bezahl- Unis finden sich in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Hamburg und im Saarland.
■ Die Gebühren betragen bis zu 500 Euro, in Hamburg sind es 375 Euro.
■ Gratis-Unis finden sich in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen sowie in Hessen, Rheinland-Pfalz, Bremen, Berlin und Schleswig-Holstein.
■ Die Rechtslage: Das Verfassungsgericht hat 2005 entschieden, dass die Bundesregierung den Ländern die Einführung von Gebühren nicht verbieten darf. Am Mittwoch wird das NRW-Gebührengesetz geprüft.
VON WOLF SCHMIDT
Tanja Rupp wusste nicht viel über Chemnitz, als sie aus Ulm hierher kam. Nur vom Nischel hatte sie schon gehört, so nennen die Einheimischen die Karl-Marx-Büste im Stadtzentrum. An 18 Hochschulen hatte Rupp sich vor zweieinhalb Jahren beworben – Augsburg, Marburg, Lübeck, Köln. Dass sie schließlich im sächsischen Chemnitz landete, um Medienkommunikation zu studieren, lag nicht nur am Geld. Aber eben auch. Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen hatten gerade Studiengebühren eingeführt, kurz darauf Baden-Württemberg und Bayern. Bis zu 500 Euro pro Semester.
Rupp schreckte das ab. Ihre alleinerziehende Mutter konnte sie finanziell nicht unterstützen. Rupp ist auf das Bafög-Darlehen und Hiwi-Jobs angewiesen. Für Studiengebühren hätte sie einen zusätzlichen Kredit aufnehmen müssen. „Einen so großen Batzen Geld später zurückzahlen zu müssen, konnte ich mir nicht vorstellen“, sagt Rupp. Es blieb: der unbekannte Osten.
Mangelware Abiturienten
Der Osten ist es auch, in dem am kommenden Mittwoch eine entscheidende Schlacht um die Studiengebühren geschlagen wird. Erstmals prüft das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, ob ein Land überhaupt Geld fürs Studieren verlangen darf. Zwar geht es im konkreten Fall um das Gebührengesetz Nordrhein-Westfalens. Doch sollten die Richter etwas an dieser Regelung auszusetzen haben, wackeln auch die Gebühren in den anderen westdeutschen Ländern.
Auf Studiengebühren verzichten zu müssen, würde viele West-Universitäten hart treffen. Konnten sie doch in den vergangenen Jahren mit den Gebührenmillionen Seminarräume sanieren, Bibliothekszeiten verlängern, Fahrradständer kaufen oder ihre Hörsäle mit Beamern ausstatten.
Aber noch härter treffen würde eine Abschaffung der Gebühren die ostdeutschen Länder. Das klingt paradox, ist das Studieren dort doch ohnehin gebührenfrei. Aber genau dies hat sich in den vergangenen Jahren zum Standortvorteil entwickelt. Wer umsonst und trotzdem gut studieren will, geht nach Dresden, Jena oder Potsdam.
21 Prozent der westdeutschen Studienanfänger an Ost-Universitäten sagen: Die Gebühren waren der Grund für meinen Gang in den Osten. So steht es in einer aktuellen Studie des Hochschulforschungsinstituts HIS. Seit den letzten beiden Wintersemestern ist die Zahl der Studentenimporte aus dem Westen um rund 18 Prozent gestiegen. Eine Entwicklung, auf die der Osten dringend angewiesen ist. Denn seit Jahren sinken dort die Abiturientenzahlen. Ohne Westimporte würden die Unis verwaisen.
Gebührenfreiheit als Lockmittel – das hat inzwischen sogar die ostdeutsche CDU verstanden. Vor drei Jahren bezeichnete der Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus die Einführung von Studiengebühren noch als unvermeidlich. Inzwischen ist er umgeschwenkt. „Thüringen plant für seine Universitäten und Hochschulen keine Studiengebühren“, sagte Althaus der taz. Auch im Wahlprogramm der Thüringer CDU, das Anfang Mai verabschiedet werden soll, ist das Ziel der Gebührenfreiheit festgehalten. „Dadurch wird die Attraktivität unseres Studienstandortes erhöht.“
Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck über gebührenfreie Ost-Unis
Auch in Sachsen, wo wie in Thüringen Ende August gewählt wird, spricht sich die CDU inzwischen gegen Studiengebühren aus. Nachdem sein Vorgänger Georg Milbradt lange für die Einführung von Gebühren argumentiert hatte, sagt Ministerpräsident Stanislaw Tillich nun: „Mit der CDU in Sachsen wird es auch nach der Wahl keine Studiengebühren geben.“ Seine Argumente: Diese passten nicht in Krisenzeiten. Außerdem benötige die sächsische Wirtschaft Fachkräfte. „Deshalb werbe ich nicht nur bei den sächsischen Abiturienten, sondern bei allen Studienanfängern in ganz Deutschland für ein gutes und gebührenfreies Studium in Sachsen“, sagte Stanislaw Tillich der taz. „Die Gebührenfreiheit ist eines von vielen guten Argumenten, in Sachsen sein Studium zu beginnen.
Unschlagbar günstig
Noch deutlicher wird Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck. „Derzeit gibt es in ganz Ostdeutschland keine Studiengebühren“, sagt er der taz. „Und das erweist sich als positiver Standortfaktor beim Bemühen, junge Menschen ins Land zu holen und im Land zu halten.“
Tanja Rupp will nach dem Bachelor-Studium noch einen Master draufsetzen – und dafür in Chemnitz bleiben, auch wenn ihr manchmal die Ulmer Altstadtcafés fehlen. Dafür ist Studieren im Osten unschlagbar günstig. Für ihre 80-Quadratmeter-Wohnung zahlen Rupp und ihr Freund 500 Euro warm. Dafür bekommt man in München oder Stuttgart ein Zimmer in einer Studenten-WG – und muss noch 500 Euro pro Semester an Gebühren drauflegen.