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Archiv-Artikel

„Man könnte ’ne Handgranate reinwerfen“

Prozess gegen Kameradschaft Süd: Angeklagter berichtet, man habe „viel Blödsinn“ über mögliche Anschläge geredet

MÜNCHEN taz ■ Gewaltfrei, ordentlich und diszipliniert. So sei es bei der „Kameradschaft Süd“ zugegangen, sagt Alexander M., 28. Deswegen sei er, bis dahin „eher im unpolitischen Skinhead-Milieu in München“ aktiv, auch im Herbst 2002 zu einem Stammtisch der irgendwie schon rechtsextremistischen, aber gemäß seiner Aussage ja doch verfassungstreuen und friedliebenden Truppe gestoßen. Dass er nun, zwei Jahre später, wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor Gericht steht, kann er sich nicht so recht erklären.

Es passte wenig zusammen in der Aussage von M., mit der der Prozess gegen Anführer der Neonazi-Truppe „Kameradschaft Süd“ begann. So besteht M. darauf, dass ein Bombenanschlag auf die Eröffnungsfeier des jüdischen Gemeindezentrums in München, der den Neonazis vorgeworfen wird, nie ernsthaft geplant worden sei, erzählt kurz darauf aber, „es wurde darüber geredet, man könnte ’ne Handgranate reinwerfen“. Kurz darauf schwächt er ab: „Es wurde viel geredet, auch viel Blödsinn.“

Das mag so gewesen sein – nur: M. und die drei anderen Angeklagten verfügten über Handgranaten wie auch über 1,2 Kilogramm TNT, Zünder und eine extra angefertigte Rohrbombe. Das gesteht auch M. ein, der dann berichtet, wie man das Material und weitere Waffen bei Gesinnungsgenossen in Mecklenburg-Vorpommern beschafft hat. Was mit dem Sprengstoff geschehen sollte, darüber hat sich M. angeblich „keine Gedanken gemacht“.

Trotz aller Widersprüche lieferte M.s Aussage interessante Neuigkeiten: So hatte sich Martin Wiese, der Anführer der „Kameradschaft Süd“, offenbar auch das Münchner Rathaus als mögliches Anschlagsziel ausgesucht. Zudem soll Wiese im Frühjahr 2003 an einer Autobahnraststätte mehrere Pistolen an einen Unbekannten übergeben haben. Da auch das Geld für die Beschaffung der Waffen anscheinend aus bislang unbekannter Quelle stammt, stellt sich die Frage, wer noch hinter der Gruppe stecken könnte. Die Antwort könnte Anführer Wiese geben, doch der verweigert einstweilen die Aussage. Der Prozess vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht soll noch bis März 2005 dauern, mehr als fünfzig Zeugen sind geladen. JÖRG SCHALLENBERG