: „Die Frauen sind nur im Gefängnis sicher vor den Tätern“
Die jordanische Journalistin Rana Husseini kämpft für Frauenhäuser und die Abschaffung von Gesetzen, die die Täter schützen. Islamisten fürchtet sie nicht
taz: Frau Husseini, stimmt es, dass Jordanien die weltweit höchste Anzahl an Ehrenmorden hat?
Rana Husseini: Nein. Aber es gibt viele Dokumentationen über Ehrenmorde in meinem Land. Ich arbeite seit elf Jahren auf diesem Gebiet und mir sind zwischen 20 und 25 jährlich bekannt.
Wurden die umstrittenen Gesetze, die eine Strafmilderung der „Ehrenmörder“ ermöglichen, in Jordanien annulliert?
Dieser Kampf war reine Zeitverschwendung. Auf großen internationalen Druck beschloss die Regierung, einen entsprechenden Artikel zu ändern. Die Abgeordneten lehnten die Revision jedoch im Jahre 2003 ab, weil sie unter anderem zu westlich beeinflusst sei. Absurderweise wurde aber gerade dieses Gesetz aus dem Code Napoléon, der die Grundlage unserer Rechtsgebung ist, übernommen.
Werden Sie beschuldigt, westliche Vorurteile zu fördern?
Konservative Parteien, etwa die Islamic Action Front, werfen mir vor, ich diene den Interessen des Westens. Ich wurde wegen allem Möglichem beschuldigt: Ich sei eine radikale Feministin, die nur Berühmtheit suche. Ich wolle die Frauen sexuell befreien und die jordanische Moral zerstören. Ich schädigte den Ruf des arabischen Mannes. Als ob ich jemanden aus den USA oder Europa brauche, um zu verstehen, dass es falsch ist, eine Frau umzubringen.
Haben Sie Angst vor Islamisten?
Warum sollte ich Angst haben? Ich glaube nicht, dass ich etwas tue, was einer Religion widerspricht – auch nicht dem Islam. Ich setze mich für den Schutz von Frauen ein. Wenn diese Frauen wirklich schuldig sind, dann soll man sie vor ein Gericht stellen.
Werden Sie in Ihrem Engagement für Frauen in Jordanien unterstützt?
Viele Leute stehen mir bei, selbst die Königsfamilie und einige Regierungsmitglieder. Zudem haben wir Kontakt zu anderen Frauenorganisationen, vor allem in Ägypten und im Libanon.
Wenn eine Frau in Jordanien Opfer eines Verbrechens im Namen der Ehre wird, wohin kann sie sich wenden?
Zur eigenen Sicherheit werden solche Frauen bis heute in „Schutzhaft“ gesteckt. Sicher sind die Frauen nur im Gefängnis. Das ist fatal. Die Frauen verbringen eine undefinierte Zeit hinter Gittern, ohne eine Anklage. Sie können höchstens von Familienmitgliedern freigelassen werden. Nicht selten befreien die Verwandten dann die Frauen nur, um sie anschließend umzubringen.
Gibt es keine anderen Schutzräume für bedrohte Frauen?
Wir fordern seit 1997 ein Frauenhaus, damit die Frauen nicht mit Kriminellen unter einem Dach sind. Die Regierung hat versprochen, eins zu eröffnen. Alle vier oder fünf Monate spreche ich mit dem Ministerium für soziale Entwicklung, das die Angelegenheit stets aufschiebt. Jetzt ist ein Frauenhaus für Anfang kommenden Jahres geplant. Wir werden sehen, was geschieht.
Weshalb reagieren die Behörden so schwerfällig?
Möglicherweise haben sie Angst, dass ein Frauenhaus als Hurenhaus betitelt wird. Niemand will diese Verantwortung übernehmen.
Es sind also moralische Gründe?
Das ist die einzige Erklärung, die ich dafür habe. Meiner Meinung nach ist es die Pflicht der Regierung, die Bevölkerung mit allen Mitteln zu schützen. Es braucht doch kein Wunder, um ein Frauenhaus zu eröffnen.
Was erwarten Sie von Organisationen wie Terre des Femmes?
Solche NGOs sind sehr wichtig. Mittlerweile sind Ehrenmorde auch in Europa ein Thema, auch wenn hier die meisten Fälle bei Migranten vorkommen.
INTERVIEW: SAMIRA ZINGARO