: Tanz im Dunkeln
Höchste Alarmstufe: Sasha Waltz will an der Schaubühne bleiben und weiß nicht, wie. Das Ballett bleibt bestehen, nur weiß man noch nicht, wo. Alice Ströver ermöglichte in ihrem Kultursalon wieder einen Blick auf ziemlich finstere Aussichten
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Die Verunsicherung ist groß. Tanz und Ballett in Berlin stehen vor Veränderungen, deren Folgen noch nicht abzusehen sind. Verliert die Schaubühne die Choreografin Sasha Waltz und ihre Compagnie und damit den erfolgreichsten Teil ihres seit vier Jahren neu aufgebauten Profils?
Was bleibt der Stadt vom Ballett, wenn statt drei Ensembles in den Opernhäusern nur noch eine Ballett GmbH unter dem Dach der Opernstiftung weiter arbeitet? Warum werden die einschneidensten Veränderungen im zeitgenössischen Tanz und im Ballett fast ohne Öffentlichkeit ausgemacht? Es gibt einige Fakten, die sich immer um mangelnde Gelder und reduzierte Stellen drehen, viele Ängste aus langer und schlechter Erfahrung, Gerüchte, die schon den Worst case vorwegnehmen und viele Behauptungen, von denen man nicht weiß, ob sie das eine oder das andere sind.
In dieser Situation lud Alice Ströver, kulturpolitische Sprecherin der Grünen, Sasha Waltz, den Ballettdirektor der Staatsoper, Vladimir Malakhov, die künstlerische Leiterin des Balletts in der Komischen Oper, Adolphe Binder, die ebenso wie die letzten 22 Tänzer dort ihren Nichtverlängerungsvertrag schon erhalten hat, und Barbara Friedrich, Vertreterin der freien Szene, in ihren Kultursalon. Da saßen nun die beiden Weltstars Sasha Waltz und Vladimir Malakhov das erste Mal nebeneinander und verglichen die Ähnlichkeit ihrer Probleme. Für Alice Ströver lag darin eine kleine Hoffnung: dass zeitgenössischer Tanz und Ballett nicht mehr in getrennten Welten kämpfen und gemeinsam eine Strategie und Lobby aufstellen könnten.
Der Weg dahin aber ist bestürzend weit. Für Sasha Waltz ist die Situation an der Schaubühne nicht länger tragbar. Sie hat mit zwölf fest engagierten Tänzern und Gästen ein Repertoire aufgebaut, 130 Auftritte in einer Spielzeit, das ihr Ensemble verschleißt. 22 Tänzer bräuchte sie, um dies fortsetzen zu können. Dann fehlten immer noch Mittel, um andere Choreografen einzuladen. Eine Stärke ihrer Arbeit liegt in der großen Offenheit gegenüber anderen Künstlern und in gemeinsamen Projekten, aus denen heraus sich ihre Stücke weiterentwickelt haben.
Mehrere Spielzeiten hat sie umsonst auf eine versprochene Erhöhung des Schaubühnen-Etats gehofft. Die Haushaltslage von Berlin lässt das endgültig nicht mehr zu. Weil sie aber gerne an der Schaubühne bleiben möchte, suchte Sasha Waltz nach Alternativen: Wenn ihre Compagnie zum Beispiel die Gastspieleinnahmen, die bisher an das Haus fließen, selbst verwalten könnte? Wenn man sich damit und den dreißig Prozent des Budgets, die der Tanz bisher in der Schaubühne erhält, innerhalb des Hauses selbstständig machen könnte? Wenn sie dann andere Theater, vielleicht aus Frankreich, wo sie in Bordeaux gerade auf einem Festival gefeiert wurde, als Koproduzenten gewinnen könnte? Das klingt eigentlich alles nach günstigen Angeboten an das Haus und doch gestalten sich die Verhandlungen schwierig. Sasha Waltz wollte die strittigen Punkte nicht benennen, um die Verhandlungen nicht zu gefährden.
„Das kann nicht sein“, meinte Alice Ströver, denn im Zuwendungsvertrag des Landes mit dem Theater ist der Etat von 11,88 Millionen Euro für Tanz und Sprechtheater ausgewiesen. Das ist der Auftrag. Aber dennoch lassen die Senatsverwaltung für Kultur und die Politiker Sasha Waltz mit diesem Problem der Verteilung der Mittel im Haus allein: eine interne Angelegenheit.
Waltz beschreibt es nur wie eine Notlösung, die sie nicht anstrebt; dahinter aber wird deutlich, dass sie, für den Fall des Scheiterns ihrer Verhandlungen, Gespräche mit anderen Theatern aufgenommen hat. Sie will nicht mit Weggang drohen und muss ihn doch, schon aus Verantwortung gegenüber ihrer Compagnie, mit einkalkulieren. Allein über diese strategische Ungewissheit hätte sich das Podium und Publikum den ganzen Abend streiten können. Wie macht man den richtigen Druck? Ist Loyalität gegenüber dem eigenen Haus jetzt noch haltbar?
Vladimir Malakhov, Tänzer und Ballettdirektor, der neben den schon in Kulturkämpfen gewachsenen Frauen auf dem Podium wie die fragilste Gestalt wirkte, hörte höflich zu. Dass ihm ähnlich schizophrene Lagen bevorstehen, wurde er von allen Seiten gewarnt und man sah förmlich, wie Alice Ströver gerne ihre Arme schirmend über ihm ausbreiten würde.
Denn Malakhov ist der voraussichtliche Leiter der Ballett GmbH unter dem Dach der Opernstiftung, die gerade mit mehr politischem Willen als mit Bereitschaft der Opernintendanten auf den Weg gebracht wird. 88 Tänzer soll es dort geben – das ist geblieben von den 150 Tänzerstellen, die die drei Opernhäuser noch vor ein paar Jahren hatten. 4 Premieren im Jahr, 120 Vorstellungen: soviel an Konstruktion steht fest. Alles andere muss er mit den Intendanten aushandeln. Und vor allem: Wie groß überhaupt der Etat der Ballett GmbH sein wird, ist noch nicht raus. Die Befürchtungen aber, dass jetzt in allen drei Häusern an einem Kleinrechnen der Mittel für Ballett gearbeitet wird, sind berechtigt. Vor allem Adolphe Binder, die an der Komischen Oper die Abschiebung des Balletts erlebt hat, gab jede Menge Warnungen weiter. Finstere Aussichten. Noch weiß man nicht, wer der Generaldirektor der Opernstiftung wird und ob er dem Ballett gegen die Opernintendanten beistehen wird. So bleibt die kulturpolitische Verantwortung wieder an Personalentscheidungen hängen.