: Das unterschätzte Medikament
„Pille danach“ soll in Deutschland rezeptfrei in Apotheken verkauft werden. Experten: Präparat ist unter Umständen schonender als die normale Pille
BERLIN taz ■ Meist ist Deutschland in Frauenfragen nicht rückständiger als Kongo oder die Schweiz. Doch es gibt Ausnahmen: „In 28 Ländern weltweit ist die Pille danach rezeptfrei erhältlich. Nur hier nicht. Das ist fast ein Skandal“, sagte Elisabeth Pott von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gestern bei einer Fachtagung in Berlin.
Die Experten begrüßen einhellig, worüber derzeit das Bundesgesundheitsministerium berät: ob Frauen die Notfallpille ab nächstem Jahr nach eigenem Ermessen in der Apotheke kaufen dürfen.
Die Argumente für eine Freigabe sind gewichtig. Denn in neun von zehn Fällen verhindert die Pille, dass eine Frau schwanger wird – aber nur, wenn sie spätestens 72 Stunden nach dem Sex eingenommen wird. Je früher die Frau die Tablette schluckt, desto zuverlässiger wirkt sie. Und genau daran krankt die herkömmliche Praxis: „Zum ungeschützen Sex kommt es meist am Wochenende nach einer Party und vielen Bier. Gehen die Mädchen montags zum Frauenarzt, ist es oft zu spät“, so Pott.
Im vergangenen Sommer bereits empfahl die EU ihren Mitgliedsländern, das Präparat rezeptfrei abzugeben. Schließlich ist das am häufigsten genannte Argument gegen die „Pille danach“ sachlich falsch: Sie dient nicht der Abtreibung, sondern verhindert, dass sich das Ei überhaupt in der Gebärmutter einnistet. Ist eine Frau bereits schwanger, so ist sie wirkungslos. Ihre Einnahme schadet dem Embryo nicht. „Selbst Ärzte und Krankenschwestern wissen das oft nicht. Wir müssen die Bevölkerung viel stärker aufklären“, sagte Pott. Apotheker etwa dürfen sich aus ethischen Gründen weigern, die Pille zu verkaufen. „Die normale Anti-Baby-Pille schluckt man vorher, die andere danach – was ist da der moralische Unterschied?“
Das zweite Argument gegen die Pillenfreigabe entkräftet der medizinische Fortschritt: Früher wurde als „Pille danach“ ein Östrogen-Gestagen-Kombipräparat verabreicht, das den Körper stark belastete. Nebenwirkungen wie Erbrechen und Kopfschmerzen waren fast die Regel. Seit mehr als zwei Jahren aber ist ein Medikament auf dem Markt, das allein Gestagen enthält.
„Wenn eine Frau nur ein-, zweimal im Monat Sex hat, ist es schonender, mit der Pille danach zu verhüten, als täglich eine zu schlucken“, sagte Ines Thonke, Ärztin bei Pro Familia. Selbst wenn also Frauen, wie Kritiker einwenden, künftig häufiger zur „Pille danach“ greifen, besteht keine gesundheitliche Gefahr. Seit 1991 ist kein einziger Fall einer schweren Nebenwirkung mehr bekannt.
Zwar belastet auch diese Pille wie jedes Hormonpräparat den Körper. Gerade bei Mädchen unter 14 Jahren raten Ärzte daher oft von der Einnahme ab. „In etwa 5 Prozent der Fälle wird einer Frau übel. Das ist aber weit weniger dramatisch, als wenn ein Teenager ungewollt schwanger wird“, sagte Pott.
Kritiker befürchten auch, Mädchen würden bei einer rezeptfreien Pille nicht kompetent beraten. Deshalb schlägt Pro Familia vor, Apotheker gezielt zu schulen. In einem abgeschirmten Raum sollen sie die Frauen diskret beraten. „Heutzutage verschreibt das Rezept oft der Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der am Sonntag gerade Notdienst hat“, sagte Thonke.
Die Rezeptfreiheit dürfte, so Thonke, vor allem zwei Zielgruppen helfen: sehr jungen Mädchen, die sich schämen, sich den Eltern oder dem Arzt zu offenbaren. Und Frauen in den Wechseljahren, die nicht mehr regulär verhüten, aber etwa nach einem Urlaubsabenteuer kein Risiko eingehen möchten. Aber auch die Männer wünscht sich Pro Familia besser informiert. Künftig sollte auf jeder Kondompackung ein Hinweis stehen: „Ist das Kondom geplatzt, hilft euch die Pille danach.“ COSIMA SCHMITT