zwischen den rillen : Soundtrack der rot-grünen Kuscheldemokratie
Die Compilation „Protestsongs.de“ präsentiert einen bunten Strauß deutscher Politsongs der letzten 60 Jahre
„Fühlen Sie sich noch als Linker?“ wurde Christoph Schlingensief vergangene Woche auf den Seiten dieser Zeitung gefragt, und er gab die schöne Antwort: „Interessant, dass Sie ‚links sein‘ nur noch als Gefühl wahrnehmen.“ Hört man sich die Compilation „Protestsongs.de“ an, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier vor allem eines versucht wird: links sein als Gefühl zu beschreiben. Das mag für einen Macher von Protestsongs die richtige Haltung sein, für die Zusammenstellung eines Albums, das mit eine solche Musik präsentiert, ist es dagegen fatal.
Insgesamt 43 Stücke aus den vergangenen 60 Jahren deutscher Protestsong-Produktion finden sich auf den zwei CDs, angefangen bei einer obskuren „Lili Marleen“-Version der Sängerin Lucie Mannheim, in der Hitler von der Laterne baumelt, bis zu „Adriano (letzte Warnung)“ von Brothers Keepers, eine Kriegserklärung afrodeutscher Rapper an die Neonazis. Aufgeteilt in zwei Abteilungen – „Hier und Jetzt“ für Stücke seit der Wiedervereinigung, „Bleibende Werte“ für alles, was davor entstand –, finden sich hier übliche Verdächtige wie Franz-Josef Degenhardt, Ton Steine Scherben oder Hanns Dieter Hüsch, aber auch Kracher wie Wolf Maahns „Tschernobyl“, Josef Beuys’ grüner Wahlkampfhit „Sonne statt Reagan“ oder das Rettet-den-Wald-Drama „Karl der Käfer“ von Gänsehaut. Daneben steht „99 Luftballons“ von Nena sowie die Erkennungsmelodie der Hörspielserie „Die drei ???“, und hier fängt das Problem an.
Natürlich hat es etwas geil Irres, eine Platte zu hören, auf der Slimes „Deutschland muss sterben“ (ein Stück im Übrigen, das auch nach 20 Jahren nichts von seinem grandiosen Hass verloren und mit seiner großartigen Zeile „Bewaffnete Roboter überall“ wie kein Zweites die Paranoia der frühen Achtziger nachgebaut hat) genau zwei Songs von Nicoles „Ein bisschen Frieden“ entfernt ist. Aber ein Album, das sich „Protestsongs.de“ nennt, und in schwarz-rot-goldenem Coverdesign daherkommt, muss es sich gefallen lassen, auf seine eigene Politik hin untersucht zu werden.
Am Anfang, so der Herausgeber George Lindt in den Liner Notes, war der Wille zur Dokumentation und genug Material für eine 10-CD-Box. Nun ist es ein leidiges Spiel, Compilations dafür zu kritisieren, dies oder jenes fehle, wohingegen irgendetwas anderes unverzichtbar gewesen wäre. Man kann eine Geschichte des Protestsongs auf zwei CDs erzählen. Dafür muss man aber eine Linie ziehen, anhand derer man erzählen möchte. Und das fehlt „Protestsongs.de“ – abgesehen davon, dass es schlicht Unfug ist, wenn es in den Liner Notes heißt, diese Geschichte beginne eigentlich in den späten Sechzigern. Damit wird die gesamte Tradition des Arbeiterliedes ausgeklammert und das bis heute in vielen Zusammenhängen folgenreiche Konzept politischer Musik ignoriert, das Brecht und Eisler in den Dreißigern entwickelten. Das muss man nicht dokumentieren, Eisler-Platten findet man auf jedem Flohmarkt, man sollte es aber wissen.
Nun haben Brecht und Eisler tatsächlich wenig mit Pop zu tun, und der kleinste gemeinsame Nenner der Musik auf „Protestsongs.de“ scheint genau dieser Bezug zu sein. Und es ist ja durchaus als ästhetischer Gewinn zu verbuchen, dass dadurch eine ganze Sparte volkstümelnder Protestmusik ebenfalls durchs Raster fiel – Folkrockbands wie Ougenweide etwa, die mit Bezug auf Widerstandsbewegungen vergangener Jahrhunderte von Bauernkriegen inspirierte Fiedeln zum Einsatz brachten.
Pop also. Wenn dies aber eine Dokumentation sein möchte, dann fragt man sich, wo der Störkraft-Song abgeblieben ist. Ist Nazirock keine Protestmusik? So etwas findet sich natürlich nicht auf den zwei CDs, sie wollen ja auch gar keine Dokumentation sein. Eine „Kreuzfahrt“ nennt sich die Sammlung in ihrem Untertitel, und das beschreibt die Politik dieser Compilation in ihrer Beliebigkeit dann auch ganz gut. Hier findet sich, an was man sich gerne erinnert. Und sind nicht manche Lieblingslieder peinlich? Politik kommuniziert sich in Pop vor allem über Kontexte, streicht man die, bleibt nur eine Pose übrig.
So präsentiert „Protestsongs.de“ zwar ein manchmal lustiges und immer interessantes Potpourri von Musik, erzählt aber im Grunde die verschüttete Vorgeschichte eines Gefühls: der Freude, rot-grün regiert zu werden. TOBIAS RAPP
„Protestsongs.de“ (Lieblingslied Records/Alive)