Steuererlass in Milliardenhöhe

Steuergewerkschaft und Opposition schlagen Alarm: Weil Finanzbeamte fehlen, verzichtet Nordrhein-Westfalens klammer SPD-Finanzminister Jochen Dieckmann auf Steuereinnahmen

VON ANDREAS WYPUTTA

Die nordrhein-westfälische Landesregierung verzichtet nach Angaben der Deutschen Steuer-Gewerkschaft (DStG) jedes Jahr freiwillig auf Steuereinnahmen in Milliardenhöhe. Der Grund: In den Finanzämtern fehlt Personal, besonders die so genannten Betriebsprüfer. Die Steuererklärungen gerade von Unternehmen werden daher nur mangelhaft kontrolliert. „Die Zahl der Prüfer ist in den vergangenen drei Jahren um mehr als 250 gesunken“, so Meinolf Guntermann, stellvertretender Vorsitzender der DStG. „Allein dadurch werden im laufenden Kalendarjahr 250 Millionen Euro an Steuern nicht festgesetzt.“

Jeder Betriebsprüfer sorge im Schnitt für Steuereinnahmen von rund einer Million Euro jährlich, glaubt Guntermann. Insgesamt fehlten NRW-Finanzminister Jochen Dieckmann rund 1.000 Fachkräfte. Die Folge: Großbetriebe werden im Schnitt nur noch alle sechs, Mittelständler alle 16, Kleinstbetriebe durchschnittlich sogar nur alle 64 Jahre umfassend kontrolliert.

Die Opposition bestätigt die Vorwürfe: „In NRW werden jedes Jahr Steuereinnahmen im hohen dreistelligen Millionenbereich einfach abgeschrieben“, sagt der CDU-Finanzexperte Helmut Diegel, Sprecher des Haushalts- und Finanzausschusses im Düsseldorfer Landtag. Dabei hat die Steuerminimierung offenbar System: Die Landesregierung versuche, den Standort NRW durch eine möglichst schwache Kontrolle der Steuerabrechnungen attraktiv erscheinen zu lassen, so Diegel zur taz. „Ob die SPD-Finanzminister Schleußer, Steinbrück oder nun Dieckmann hießen – die Begründung war immer gleich“, klagt Diegel. Das Geld fließe sowieso in den Länderfinanzausgleich, sei für NRW verloren.

„Diese Argumentation habe ich schon oft gehört“, bestätigt auch Angela Freimuth, finanzpolitische Sprecherin der FDP im Düsseldorfer Landtag. „Nicht hinnehmbar“ sei der Mangel an Betriebsprüfern, findet die Liberale: „Zu einem attraktiven Standort gehören schließlich verlässliche Rahmenbedingungen für alle.“

Hartmut Müller-Gerbes, Sprecher des NRW-Finanzministeriums, bestätigt die Zahl fehlender Betriebsprüfer – erklärt den Mangel aber zur Sparmaßnahme: „3.555 Prüfer hätten wir gern“, so Müller-Gerbes. Zwar fehlten „zwischen 250 bis 300“ Mitarbeiter, Neueinstellungen lehne das Ministerium aber ab – bezahlbare Betriebsprüfer stünden am Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung. „Wir setzen auf interne Fortbildungen.“

Ähnlich argumentiert die Finanzexpertin der Grünen, Edith Müller. Nötig sei eine Reform des Steuerrechts insgesamt: „Der schlichte Ruf nach mehr Personal ist nicht ergiebig.“