: SPD-Reformer ohne Nachwuchs
Allein in Köln haben über 300 Sozialdemokraten in den letzten sechs Monaten der SPD den Rücken gekehrt. SPD-Chef Ott erklärt die Austrittswelle mit „Enttäuschung einer politischen Generation“
VON PASCAL BEUCKER UND FRANK ÜBERALL
Sie wollten mit Willy Brandt „mehr Demokratie wagen“. Sie überstanden die bleiernen Jahre unter Helmut Schmidt und auch die lange düstere Zeit sozialdemokratischer Opposition während der Kohl-Ära. Doch Gerhard Schröders Politik verkraften sie nicht mehr: Immer mehr Genossen, die in den 1970er Jahren hoffnungsfroh eingetreten sind, kehren frustriert der SPD den Rücken. Sie stellen den Großteil der über 300 Sozialdemokraten, die im vergangenen halben Jahr alleine in Köln die SPD wegen der umstrittenen rot-grünen Sozialreformen verlassen haben. Die meisten von ihnen verabschiedeten sich in den letzten Wochen. „Das ist die Enttäuschung einer politischen Generation“, kommentiert Kölns SPD-Chef Jochen Ott den Aderlass.
Seine Erklärung: „Diejenigen, die sich zu Zeiten Willy Brandts und Helmut Schmidts für die SPD entschieden haben, hatten ein anderes Politikverständnis.“ Es sei ihnen darum gegangen, „allen Menschen Chancen zu eröffnen, sie auch finanziell zu fördern und Projekte zu starten.“ Für den 29-jährigen Ott ist das allerdings keine zeitgemäße Einstellung. In den Zeiten der Globalisierung und einer schwierigen Lage der öffentlichen Kassen gehe es nur noch darum, „möglichst sozial gerecht zu sparen“.
Auch der Kölner Bundestagsabgeordnete Rolf Mützenich sieht keine Alternative zum Schröder-Kurs: „Wir müssen klar machen, dass soziale Einschnitte nötig sind.“ Doch der Parteilinke, SPD-Mitglied seit 1976, muss zugeben, dass er damit nicht einmal in seinem Freundeskreis wirklich überzeugend wirkt. „Ich kenne alleine sechs langjährige Weggefährten, die ihr Parteibuch zurück gegeben haben“, berichtet Mützenich: „Das tut weh, denn mit diesen Leuten bin ich in der Partei groß geworden.“ Das sei „so ähnlich wie zu der Zeit, als viele SPD-Mitglieder zu den Grünen abwanderten“. Aber er gibt sich optimistisch: „Ich sehe heute keine parteipolitische Alternative für diesen Kreis. Deshalb will ich die Hoffnung nicht aufgeben, das sie für die SPD noch nicht verloren sind.“
Wenn er da mal nicht vergeblich hofft. Die Tendenz jedenfalls ist gegenläufig. „Mit einer Partei, in der Schröder prinzipienlos durch die Welt tapert, will ich nichts zu tun haben“, sagt ein hochrangiges Kölner SPD-Mitglied. Er möchte noch nicht namentlich genannt werden, da er zunächst „mit meinen Kumpels“ über seine Austrittspläne sprechen will: „Nennen Sie mich ein ,ungenanntes Noch-Mitglied‘.“
Ebenfalls einer von denen, die in den 70er-Jahren in die SPD eingetreten sind, ist der heutige DGB-Chef im Rheinland, Wolfgang Uellenberg-van Dawen. Er will allerdings vorerst noch tapfer dabei bleiben: „Ich werde doch wegen solcher Dünnbrettbohrer wie Wolfgang Clement und Gerhard Schröder nicht aus der Partei austreten, die von August Bebel gegründet und von Willy Brandt in ihren wesentlichen Strukturen geprägt wurde. Das sind doch nur vorübergehende Zeitgeistschwimmer.“
Allerdings befürchtet Uellenberg einen dramatischen Desintegrationsprozess seitens der SPD in der Arbeitnehmerschaft, der für die Demokratie gefährlich sei. Bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zum Beispiel hätten viele Funktionäre angekündigt, wenn die Tarifautonomie in Frage gestellt werde, würden „die SPD-Parteibücher nur so fliegen“. Doch ob seine Warnungen fruchten, da ist er skeptisch: „Es gibt zu viele Jungpolitiker und so genannte Netzwerker, die gebannt nach oben schauen“, so Uellenberg zur taz. Die SPD müsse wieder für soziale Gerechtigkeit kämpfen, meint Uellenberg: „Macht sie das nicht, gibt es sie bald nicht mehr.“
Die Zahlen jedenfalls sind verheerend: Nach Angaben der SPD-Bundesgeschäftsstelle in Berlin verließen bundesweit in den vergangenen Monaten rund 30.000 Mitglieder die Partei – und ein Ende der Talfahrt ist nicht in Sicht. Die Partei sei auf den Reformprozess nicht genügend vorbereitet gewesen, kommentiert SPD-Urgestein Hans-Jürgen Wischnewski den Abwärtstrend. Aber: „Die Zahl derjenigen, die wissen, dass die Reformen unverzichtbar sind, nimmt zu“, sagt der Kölner SPD-Chef der Jahre 1957 bis 1968.
Neben den unzähligen Austritten droht der Kölner SPD allerdings jetzt noch zusätzliches Übel: von der Landespartei. Die Zuschüsse für die Unterbezirksarbeit sollen für das kommende Jahr von 204.000 auf 54.000 Euro zusammen gestrichen werden – ausgerechnet in dem Jahr, wo die kölschen Sozis bei der Kommunalwahl die Macht im Rathaus zurückholen wollen. „Natürlich belastet uns das, der Neuanfang kostet schließlich Geld“, erklärte Ott der taz. „Aber wir sind zuversichtlich, bei Beratungen mit der Landespartei noch eine gute Lösung zu finden.“ Auf „Danke-Schön-Spenden“ können die Domstadt-Genossen schließlich inzwischen nicht mehr zurückgreifen.