„Die Stasi war nichts Spezielles“

Der BFC Dynamo war Erich Mielkes Lieblingsclub und Stadtrivale des 1. FC Union. Warum verkaufen sich die Bücher zum Thema so gut? Zwei Autoren über DDR-Nostalgie und Fußballklischees

Interview DIETMAR BARTZ

taz: Eure BFC-Bücher gehen in den Läden überraschend gut, sowohl die Chronik als auch die Erzählungen. Ergreift die DDR-Nostalgie jetzt auch noch den Stasi-Fußballverein?

Andreas Gläser: Seit es die DDR nicht mehr gibt, wird darüber diskutiert, ob zu viel oder zu wenig über sie geredet wird, ob sie verharmlost wird oder nicht. Mich erstaunt das Interesse an Jana Hensels „Zonenkindern“ und am Film „Good bye, Lenin“, aber mein Buch lässt sich nicht in die Rubrik „DDR-Machwerk“ einordnen. „Der BFC war schuld am Mauerbau“ – das spricht doch eher den Nordosten an.

Frank Willmann: Wir sind beide nach Westberlin ausgereist und hatten schon deswegen mit der DDR nichts mehr am Hut. Andererseits sind wir dort aufgewachsen, also mit dem Fußball zuerst in der DDR in Berührung gekommen.

Woher kommt aber das Interesse in der Öffentlichkeit? Was macht den BFC so attraktiv?

Gläser: Als ich 1999 mein Fanzine „BFC-Verherrlichung“ auch nach Schwaben verschickte, bestellte ein Interessent gleich ein BFC-Shirt mit, weil er aus Thüringen kam und die Häuslebauer mit einem „Stasi-Shirt“ provozieren wollte. Entweder bist du so erfolgreich wie Bayern oder so böse wie Dynamo.

Willmann: Der BFC ist im Osten ein rotes Tuch. Das ist bestimmt ein Grund, warum „Der Meisterclub“ gekauft wird. Ich glaube nicht, dass es den damaligen Funktionären gefällt.

Aber „Der Meisterclub“ nimmt den BFC gegen die meiste Kritik in Schutz: Er habe aus eigener Kraft so gut gespielt, dass er den Schmähruf „Schiebermeister“ nicht verdient habe. Die Schiedsrichter hätten gar nicht so unfair zu Gunsten Dynamos gepfiffen. Und die Delegierung der besten Spieler zu Dynamo sei auch nichts anderes als das jetzt übliche Transfergeschäft.

Willmann: Es ist doch normal, dass ein Spieler zu dem Verein geht, der ihm am meisten bietet. Das war in der DDR nicht anders, auf der Geldskala lagen sie ganz oben. Außerdem hat der BFC als Meister den Spielern die Teilnahme an den europäischen Wettbewerben geboten. Das war wiederum wichtig, um in die Nationalmannschaft zu kommen.

Gläser: Und in Berlin war die Versorgung besser. Warum sollten ausgerechnet Fußballspieler auf Privilegien verzichten? Die waren alle freiwillig bei uns.

Und die Schiris?

Willmann: Das muss differenziert werden. Der sehnlichste Wunsch jedes Schiris ist es, international zu pfeifen. Dafür bewährte man sich durch gute Leistungen in der Oberliga und durch seine Beziehungen, genau wie in der Bundesliga. Aber die Schiedsrichter waren natürlich auch bestrebt, es sich nicht mit den Machthabern zu verscherzen. Einige haben in vorausschauendem Gehorsam gehandelt und haben unfair gepfiffen. Die waren zum größten Teil IMs und einige sogar OibEs …

inoffizielle Mitarbeiter der Stasi und Offiziere im besonderen Einsatz …

Willmann: Ja. Die Namen sind auch bekannt. Aber das ändert nichts daran, dass der BFC die stärkste Mannschaft hatte. Gerade habe ich noch in einem Archiv entdeckt, zu welchem Ergebnis der Deutsche Fußball-Verband 1986 wegen dieser Vorwürfe gekommen ist. Die haben viele Spiele genau untersucht und zum Beispiel festgestellt, dass beim Pokalspiel gegen Dynamo Dresden der Schiri insgesamt 30 Fehlentscheidungen zugunsten des BFC getroffen hat. Es gab also Manipulationsversuche, doch man kann nicht beweisen, wie erfolgreich sie waren. Aber im Buch steht auch, dass jahrelang der Vorsitzende der Schiedsrichterkommission ein hervorragendes Mitglied des BFC Dynamo war. Übrigens hat Dresden das Pokalspiel trotzdem gewonnen.

Zwei Fans des 1. FC Union schreiben die Geschichte ihres Konkurrenzvereins BFC Dynamo. Geht das?

Gläser: Jörn Luther und Frank Willmann hatten mein Vertrauen. Ich fand ihr Union-Buch gut, weil die Themen vernünftig gewichtet wurde, der ganze Urschleim aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, nicht nur der aktuelle Aufstieg. Und wenn das bisschen Häme gegenüber dem BFC nicht drin gestanden hätte, hätte was gefehlt.

Der BFC war ein Stasi-Verein. Im „Meisterclub“ wird aber betont, dass auch alle anderen Fußballvereine in der DDR parteikonform sein mussten. Also war das MfS nichts Spezielles?

Willmann: Nein. Die Spitzen der Vereine haben alle der gleichen Sippschaft angehört, egal ob beim BFC oder bei Union, ob bei der Staatssicherheit oder den Kombinaten, die Union getragen haben. Da gab es nicht die Guten und die Bösen, die waren alle meine Feinde. Und die SED-Bezirksleitung von Berlin ist lieber zu Union gegangen als zum BFC, weil sie von Mielke nicht ernst genommen wurden und nicht einmal eine Tribünenkarte bekommen hätten. Letztlich war das alles ein Gesocks. Funktionäre sind bis heute Gesocks.

Gläser: Als 12-, 13-Jähriger bin ich zum ersten Mal zum BFC gegangen, weil das Stadion bei mir um die Ecke war. Aber in meinem BFC-Kiez gingen auch viele zu Union. Die Köpenicker galten als Underdogs und bekamen schon deswegen viel Sympathie. Aber die Leute haben nicht automatisch mit ihrem Bekenntnis zu Union gemeint, dass sie gegen den Staat sind. Das ganze Anti-Gehabe bei den Union-Fans hatte mit Opposition so viel zu tun wie die Rolling Stones mit Punkrock.

Im „Mauerbau“-Buch steht: „Es war nahe liegend, zum verachteten Verein zu gehen.“ In den 80-ern war Union der Club der Langhaarigen, zum BFC gingen Punks und rechte und linke Glatzen.

Willmann: Fußballfans haben immer provoziert, immer. Das ändert sich heute, weil die Spiele immer mehr zum Event umgebastelt werden.

Unioner wie BFCer waren gegen die DDR?

Willmann: Der harte Kern von beiden auf jeden Fall. Zumindest hatten sie eine große Klappe und trauten sich aus der Masse heraus ein bisschen was, Rufe wie „Stasi raus!“ oder „Deutschland!“ Das kam von so Partisanenhäufchen.

Gläser: Man war für die Wiedervereinigung, für die Aufstockung der Bundesliga, unter anderem mit dem BFC. Und auch wenn man randaliert hat, trug man vielleicht einen Aufnäher mit „Schwerter zu Pflugscharen“, obwohl der aus dem Kirchenumfeld kam, das gegen Gewalt war. Das war alles sehr zusammengewürfelt. Wenn es nach Thüringen ging, fanden es die mitreisenden Punks gut, dass sie es dort nur mit alten Bullen zu tun hatten und mal nicht in Unterzahl waren. Die kamen erst wegen dem Rabatz, wurden dann aber auch Fußballfans. Später blieben sie weg, weil es zu viele Glatzen gab und auch einen nationalistischen Schub. Zu der Zeit hatte ich aber schon meinen ersten Ausreiseantrag gestellt und war nicht mehr so oft da.

Im „Mauerbau“-Buch gibt es den Wortwechsel: „Seid ihr Fußballfans oder Nazis?“ – „Ist doch das Gleiche!“ Im „Meisterclub“ ist beschrieben, wie die Leipziger Fans Richtung BFC riefen: „Juden Berlin!“ Die BFCer riefen zurück: „Ariel Sharon!“

Willmann: Sowohl bei BFC und wie bei Union war es gang und gäbe, dass sie außerhalb der Hauptstadt mit „Juden Berlin“ begrüßt wurden. In den Provinzen galt Berlin als Zentrum der Schacherer. Als Jude galt derjenige, der etwas hatte, auf das man neidisch war, Bananen oder sonst was. „Ariel Scharon“ wurde gerufen, um sich drüber hinwegzusetzen. Der Witz der Berliner hat das sofort weitergedreht.

Gläser: Ajax Amsterdam und Tottenham Hotspurs aus London gelten ja auch als „Judenvereine“. Da hängen die Fans sogar Israel-Fahnen an den Zaun und setzen sich diese Kappen auf. Aber wenn einer aus dem BFC-Block eine Israel-Fahne aufgehängt hatte, dann flog die in den Dreck, unter der Zustimmung der sächsischen Ordner.

Willmann: Oder der BFC-Block hat gegen die Leipziger gerufen: „Nazis raus!“

Dabei waren doch viele selbst Nazis. Also war alles egal, Hauptsache, schlechter Geschmack?

Willmann: Das hat grundsätzlich was mit dem Fußballfan zu tun. Der schlechte Geschmack ist dem Proleten sowieso zu eigen.

Gläser: In Plauen kamen so ein paar Vogtländer Fans an unseren Block und wollten gemeinsam mit den rechten Berlinern unsere „Kommunisten“ verprügeln. Die Sachsenbengels wurden aber gleich von Berliner Hools vertrieben. Die wollen es nicht, wenn es zu politisch wird. Man spielt mit diesen ganzen Sprüchen, aber man mag es auch nicht, wenn da Leute mit NPD-Flugblättern stehen.

Willmann: Aber wenn die Fußballfans eine Regierung wählen würden, gäbe das eine Koalition aus CDU und NPD, mit einem starken PDS-Anteil. Es gab auch bei Union Schlägereien mit türkischen Fans, aber das war eher zufällig, aus Missverständnissen heraus. Beim BFC wurde aber Anfang der 90er-Jahre richtig agitiert. Das ging auch leicht, das waren ja zeitweilig nur noch 50 Fans. Bei Union waren es zehnmal mehr.

Union-Fans haben sich schon in DDR-Zeiten zum „ewigen Verlieren“ bekannt. Das diente zur Identitätsstiftung. Hatten die BFC-Fans, auch wenn sie gegen die Stasi und die DDR waren, stattdessen ein verkapptes Elitebewusstsein?

Willmann: Der BFC-Fan hat sich schon immer für was Besseres gehalten, und das ist bis heute so. In den 80-ern kamen 20 Prozent aller festgenommenen BFC-Fans aus Familien der sozialistischen Intelligenz.

Sind die so staatsfeindlich aufgetreten, weil sie in den BFC hineingewachsen sind, dort aber auch die Revolte gegen die Eltern und deren Weltanschauung ausgelebt haben?

Gläser: Unter den BFCern gab es sowohl Arbeiter als auch Bullen. Zumindest war das in meinem Umfeld leicht erkennbar, weil die Arbeiterkinder in den zehngeschossigen Hochhäusern wohnten und die Bullenkinder in den Fünfgeschossern. Das Elternhaus spielte wohl doch nicht so ne Rolle.

Willmann: Doch. Die Intelligenz, die Funktionärsebene hat in der DDR nur zwei Prozent ausgemacht. Es gab eine starke Anziehungskraft für die Kinder dieser Leute, und die sind eher zum BFC gegangen.

Ist der BFC von heute identisch mit dem BFC von damals?

Gläser: Ich finde es okay, dort mit 300 oder 500 Leuten zu stehen, mit alten Opis und so. Ein Verein lebt auch von seinen alten Helden, und die bringen ihre Söhne mit. Das ist kein Event-Publikum. Wenn ich alle zwei, drei Jahre mal bei Hertha bin, wo ein Zirkus veranstaltet wird, da tun mir die 7.000 richtigen Hertha-Fans leid, die noch die 2. Bundesliga mitgemacht haben. Die leiden anscheinend unter dem Spaßvolk, von dem sie jetzt überrannt werden. Beim BFC ist es viel entspannter. Von mir aus braucht der BFC gar nicht in der 2. Bundesliga zu spielen.